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Märchen meines Großvaters

Das Schloss aus Salz

Auf einem hohen Berg stand einstmals ein Schloss aus Salz. In der Sonne und bei Vollmond funkelten die Schlossspitzen wie Diamantenkanten. Wie eine große Spinne zog das Schloss die Lebewesen an sich und wenn eines in das Spinnengewebe hinein geraten war, verlor es seine Freiheit. Es ging das Gerücht um, dass ein Graf, der selbst aus Salz sei, dieses Salzschloss besitzt. Niemand hatte den Grafen gesehen. Alle hatten Angst vor ihm, besonders, wenn Menschen anfingen zu verschwinden. Ihre Zahl wurde immer mehr und mehr, bis sie die Tausend erreichte. Unter den Verschwundenen waren auch die Eltern von Klaus, die zum Jahrmarkt gegangen und nicht mehr zurückgekommen waren. Der Junge suchte sie lange, und seine Suche führte immer wieder zum Salzschloss. Es war aber ganz unmöglich, unbemerkt ins Schloss einzudringen. Die Wände der Salzzitadelle waren hoch und unüberwindbar. Von dem weißen Leuchten verlor man den Verstand und wurde blind. Klaus schwor sich, um jeden Preis der Welt seine Eltern zu finden. Und wenn es noch möglich wäre, sie zu retten. Einige Tage passte er auf die Schlosswächter auf und bemerkte eine Besonderheit: alle drei Tage kam ein zugedecktes, schwer beladenes Fuhrwerk am Tor an. Sogar der Kutscher durfte nicht durchfahren und sollte draußen warten. Klaus beschloss zu erfahren, was genau ins Schloss gebracht wurde. Er hielt den Kutscher auf seinem Rückweg an und bat, mitgenommen zu werden. Der einfache Bauer mit seinem runden Gesicht willigte ein, den Fremden mitzunehmen. Der gesprächige Kutscher erzählte Klaus vom Quellwasser eines Waldbachs. Allein dieses Wasser diente als Heilmittel, das der alte Graf so schätzte. Der Waldbach war aber sehr weit entfernt. Um den Weg abzukürzen, hatte der Bauer eine List angewandt. Er wurde schon zweimal auf frischer Tat ertappt, als er versuchte, Wasser von einer anderen Quelle zu bringen. Beim dritten Mal würde es ihm den Kopf kosten. In drei Tagen sollte er die Fässer wieder mit dem Wasser auffüllen und zum Schloss bringen. Klaus bot ihm seine Hilfe an. Der Bauer willigte ohne Zögern ein. In drei Tagen trafen sie sich wieder und fuhren zum Wald. Sie rollten die Fässer auf das Fuhrwerk und der Bauer ging, um sein Pferd zu tränken. Als er zurückkam, sah er, dass Klaus verschwunden war. Dem Bauern blieb nichts anderes übrig, als allein wegzufahren. So geriet Klaus ins Schloss, indem er sich in einem der Fässer versteckte. Er blieb bis tief in die Nacht hinein im Fass sitzen. Als es endlich still wurde, kroch er vorsichtig aus dem Fass und drang ins Schloss ein. Was ihn sofort überraschte, war die große Menge an Statuen, denen er überall begegnete. Eine Unmenge an Salzstatuen. Es sah so aus, dass in den Salzsäulen Menschen verborgen waren. Als Klaus aber noch zwei Statuen fand, die seinen Eltern sehr ähnlich waren, da war er über jeden Zweifel erhaben: der „Salzgraf“ verzauberte diese Menschen. Und plötzlich stieß Klaus Stirn an Stirn mit dem alten Graf zusammen. Der „Salzgraf“ war ziemlich hoch und hager. Seine große Höckernase und die leuchtenden Augen erschraken Klaus. „Wie bist du denn hier hineingeraten?“, schrie ihn der Graf sofort an. „Wer hat gewagt, dich hereinzulassen?“ „Niemand“, antwortete der Junge leise. „Ich bin selbst ... Ich bin gekommen, um meine Eltern abzuholen ... und die anderen Menschen auch!“ „Dann wird auch dich das Missgeschick treffen.“ „Aber diese Menschen ...“ „Bald wird das ganze Land in meiner Gewalt sein“, unterbrach der alte Graf. „Ich brauche aber noch mehr Menschen, viel mehr, um mit dem König zu kämpfen und ihn zu besiegen.“ „Ich kenne aber Ihr Geheimnis“, sagte Klaus. „Mein Geheimnis?“ lachte der Graf, „Woher willst du das denn wissen?“ „Mit dem Wasser vom Waldbach begießen Sie die Wände Ihres Salzschlosses. Nur dieses Wasser stärkt die Wände. Wenn ich aber davon weitererzähle ...“ „Still!“, rief der grauhaarige Alte, „Sei still!“ „Obwohl du ja gar nichts erzählen wirst. Sieh mal deine Beine an: sie verwandeln sich schon in Salzsäulen. Die kannst du nicht mehr bewegen. Und deine Arme sind steinhart geworden. Bald wirst auch du eine Statue in meinem Schloss sein. Wenn du aber so klug bist, wie du meinst, so errate dann, wie ich die Menschen in Salzstatuen verwandle“, sagte der alte Graf und verließ die Halle mit siegreicher Miene. Klaus blieb allein. Sein Körper wurde immer mehr hart. Jetzt spürte er weder seine Brust, noch seinen Rücken. In dieser Ausweglosigkeit fing er an zu weinen. Davon wurde sein Körper noch schneller mit Salz bedeckt und erstarrte. Das Salz bedeckte schon seinen Hals ... Klaus dachte seufzend an seine Eltern und die anderen Menschen. „Was für ein Retter bin ich, wenn ich selbst zur Salzsäule erstarre“, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf und er lächelte. Und plötzlich ... hörte das Salz auf, seinen Körper zu bedecken. Dann lachte er leise und das Salz fing an, abzufallen und befreite seinen Hals. Klaus lachte weiter. Der Salzpanzer barst und fiel wie eine alte Schlangenhaut ab. „Lacht!“ rief Klaus laut zu allen Statuen, „Lacht aus vollem Halse! Der „Salzgraf“ ist nur durch Eure Angst stark.“ Erst erschallte undeutliches Flüstern und dann waren schon laute Stimmen und schüchternes Lachen zu hören. Die Menschen lachten und erlangten durch das Lachen ihre Freiheit. Und nun konnten sie nicht mehr aus dem Lachen herauskommen. Ihre Ängste waren überwunden. Die feigen Wächter liefen weg, als sie die große Menschenmenge sahen. Der „Salzgraf“ verschwand und niemand wusste noch etwas von ihm. Einige der Geretteten wollten sogar das Schloss zerstören, aber dann regnete es in Strömen. Und das Salzschloss schmolz. An seiner Statt blieb aber eine Menge Salz, das übrigens ziemlich gut war.

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