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Märchen meines Großvaters

Das Reisigbündel

Einstmals ging ein Mann an einem eiskalten Wintertag in die Stadt, um ein großes Reisigbündel zu verkaufen. Schon als er in die Stadt kam, war seine Ware sehr gefragt. Viele wollten sein Bündel kaufen. Der Mann beschloss aber, nichts zu überstürzen, um sich mit dem Verkauf nicht zu vertun. ’Ich gehe lieber noch zum Markt. Dort werde ich sicherlich mehr bekommen’, dachte er, ‚mich interessiert, ob jemand für das Reisigbündel mehr bezahlt.’ Vom Hügel aus war das Stadtzentrum mit den Ziegeldächern gut zu sehen. Er kam den gefrorenen Weg hinunter, während er im Kopf über seinen baldigen Gewinn spekulierte. Es brach aber plötzlich solch ein Schneesturm aus, dass weiter als zwei Schritte nichts mehr zu sehen war. Der Mann ging also durch die einsamen Straßen und fand niemanden, der sein Reisig kaufte. „Mein Geld ist flöten“, sagte er und wälzte die Schuld auf das Unwetter ab. „Im Frühling werde ich mein Bündel bestimmt verkaufen.“ Als er diese Worte aussprach, sah die Sonne hinter den Wolken hervor, der Schnee taute und die Vögel fingen an zu singen. Der Frühling kam. Trotzdem wollte keiner seine Ware kaufen. Vom Flussoberlauf wurde viel Holz ans Ufer gespült und jeder Stadtbewohner versorgte sich nun damit. Der verzweifelte Mann flehte wieder zum Himmel und bat, dass es Sommer wird. Und da geschah das Gewünschte. Die sommerlichen Tage waren aber so warm und die Nächte so hell, dass sich wieder niemand für seine Ware interessierte. Alle Wünsche gingen also in Erfüllung. Nur sein Reisigbündel blieb wie früher auf seinem Rücken. „Im Herbst werde ich das Bündel reißend verkaufen“, träumte der Mann weiter. „Bei dem regnerischen Wetter wird keiner an der Wärme sparen.“ Von dem strömenden Regen wurde das Reisigbündel aber nur nass und schwer. „Es sieht so danach aus, als ob die Leute das Reisig wirklich nur im Winter brauchen“, meinte der Mann und fand sich plötzlich an demselben Platz wieder, wo er sein Bündel zum ersten Mal verkaufen wollte. Aber auch jetzt fand er keinen Käufer. Ihm blieb nichts anderes übrig, als mit seiner schweren Last nach Hause zu gehen. Nach langem Tragen wurde sein Reisigbündel so klein, dass der Mann noch nicht mal mehr sein Haus beheizen konnte. Er saß also neben dem kalten Ofen und ließ den Kopf hängen. Hätte er das Reisig gleich beim ersten Mal verkauft, so hätte er Geld gehabt und ihm wäre jetzt warm gewesen. Die ganze Schuld lag nur an seiner Gier.

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