HomeBühnenstückeDas Haus auf dem Sand - SynopsisBühnenstück lesen

Bühnenstücke

Bühnenstück "Das Haus auf dem Sand "

Genre: Drama

 

„Jeder aber der diese meine Worte hört und sie nicht tut, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf dem Sand baute. Da fiel der Platzregen und die Ströme kamen und die Winde bliesen und stürzten sich auf jenes Haus und es stürzte zusammen und sein Einsturz war gewaltig.“ (Mat. 7; 26-27)

 

Handelnde Personen:
1.Smechov, Alexander Danilovitsch, ein Mensch ohne Beschäftigung
2.Gradov, Alexej Petrovitsch,  das Familienoberhaupt und der Hauseigentümer
3.Gradova,  Soja Veniaminovna, seine Ehefrau
4.Gradova, Alexandra Alexeevna, genannt Sachenka, seine Tochter
5.Gradova, Praskovja Nikiforovna, seine Mutter
6.Stoljarov, Evgenij Konstantinovitsch, Bräutigam von Sachenka
7.Kovrov, Valerij Pavlovitsch, der alte Freund von dem Ehepaar Gradov
8.Kovrova, Natalja Konstantinovna, seine Ehefrau
9.Kovrova, Olga Pavlovna, eine Freundin von Sachenka
10.Der Notar
11.Die Leibwächter

 

Zwischen der 1. und der 2. Handlung ist eine Unterbrechung von sechs Jahren.

 

Die erste Handlung

 

1. Akt

 

Das große Wohnzimmer in einem modernen Holzhaus, ein Büfett mit Geschirr, Wanduhren mit Schlagwerk, ein großer runder Tisch mit Stühlen, Bücherregale, ein Ledersofa, ein geflochtener Schaukelstuhl mit einem Überwurf.

Zwei Türen: Die eine führt zum Garten, die andere ins nächste Zimmer. Links ein großes Fenster, rechts eine Treppe zur ersten Etage. Auf der Bühne ein Mann und eine Frau.

 

Smechov: „Schon seit drei Wochen und länger bin ich Ihr Gast, liebe Soja Veniaminovna.

Vor zweiundzwanzig Tagen habe ich meinen Fuß über Ihre Schwelle gesetzt und jetzt ist mein Leben auf den Kopf gestellt.“

 

Der Mann geht lange im Zimmer herum und liebevoll berührt er die Gegenstände, die im Zimmer sind. Die Frau hört ihm nicht zu: Sie spielt mit der Katze und sie strickt. Sie merkt nicht, wie zärtlich er ihre Figur mit seinen Händen vor sich hin nachformt, während sie mit dem Rücken zu ihm sitzt.

 

Smechov (mit Bewunderung): „Was für ein Haus, welch ein Garten! Für mich gibt es keinen besseren Ort auf der Welt.“

 

Gradova: „Das scheint Ihnen bloß so, Alexander. In ihrem Alter sieht man alles anders.“

 

Smechov (schmunzelnd): „In meinem Alter?!“ (und spricht sofort freudig weiter.) „Nein – Sie sind es, die nichts sieht und die nicht versteht. Sie sind einfach an dieses Wunder gewöhnt und Sie merken es gar nicht mehr. Sehen doch mal Ihr Haus von einer anderen Seite. Dann wird sich Ihnen eine Wahrheit auftun, die ich sofort verstanden habe, als ich in der allerersten Minute das edle Licht und die endlose Gutmütigkeit dieses Hauses spürte. Seine Gunst, die ich nicht verdiene! Ihr Haus ist weder klein noch groß. Es fällt nicht ins Auge mit mondäner, übertriebener Schönheit, aber es ist auch nicht ärmlich. Es ist wie ein wandelnder Ritter, weder ein Modenarr, noch ein Asket. Es ist kein Raufbold, aber es wird auch niemanden hindurch gehen lassen. Alles an ihm hat Maß. Es lässt Dich mit Dir selbst leben, nicht durch Gerüchte, es hängt nicht von der Meinung Deiner Freunde und Nachbarn ab, egal wie Ihnen Dein Haus zusagt oder wie sie über Dich denken. Jedes Zimmer ein Schmuckkästchen, jedes hat seinen eigenen Charakter, seine innere Harmonie. Es gibt keinen Universalschlüssel, um alle Türen in Ihrem Haus aufzuschließen. Eine Stimmgabel ist nötig, um hier alle Töne und Stimmen einzufangen. Im Spiel von Licht und Schatten zeigen sich die vielfältigsten Gefühle und mit ihnen die Fülle der Welt. Und Du siehst und verstehst seine Geheimnisse von Jungfräulichkeit und Anmut. Und dann stimmen Sie damit überein, dass nichts edler und wertvoller auf der Welt ist als das Haus, in dem Sie wohnen.“

 

Gradova: „Aber ich wohne hier doch nicht alleine. Sachenka – meine Tochter, Alexej Petrovitsch – mein Mann, Mama … Wir sind zu viert.“  

 

Smechov (lacht auf): „ Es stimmt nicht. Sie sind zu fünft.“

 

Gradova: „Warum zu fünft?“ Sie guckt auf Smechov und sagt. “Ach ja, ach ja.“

 

Smechov  (schüttelt den Kopf): „Denken Sie doch nicht, dass ich mich selbst meine.“

 

Pause

 

Smechov: “Sie haben vergessen, ihre Katze zu erwähnen.“

 

Gradova (lächelt): „Ach ja, habe ich wirklich vergessen. Sie ist wirklich ein Familienmitglied geworden. Wissen Sie, ich habe keine Beziehung zu Haustieren. Und wenn nicht Sachenka wäre, hätte ich mich nie auf dieses Abenteuer eingelassen. Inzwischen habe ich mich an sie gewöhnt und kann mir mein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Dumm, nicht wahr?“

 

Smechov  (spricht immer lauter): „Nein, nein, nein! Alles ist so, wie es sein muss. Sie sitzen in einem Sessel, die Katze neben Ihnen, das Wollknäuel auf dem Boden. Und ich neben Ihnen höre Ihnen zu. Ich flehe Sie an, sprechen Sie!“

 

Gradova: „Was soll ich denn sagen?“

 

Smechov: „Sagen Sie, was sie wollen. Ich will nur Ihre Stimme hören.“

 

Gradova: „Wie merkwürdig Sie sind. Was ist denn an meiner Stimme besonderes?‘“

 

Smechov: „Ihre Stimme in diesem Haus verkörpert für mich das Weltall. Ich bin bereit, Ihrer Stimme überall hin zu folgen. Aber ehrlich gesagt. Am liebsten würde ich hier bleiben, in der Ruhe und in der Harmonie und in dem nicht wiederzugebenden zarten Klang ihrer Stimme. Ich würde zu Ihrem zweiten Echo werden.“

 

Gradova: „Ja Sie haben Recht. In unserem Haus ist so eine Akustik. Man hört alles und jeden. Einer niest im ersten Stock und im Erdgeschoß wünscht ein Anderer „Gesundheit“. Schön, nicht wahr.“

 

Smechov (ohne Verstehen): „Akustik?“ (zur Seite) „Welche Akustik? Sie verstehen selbst in was für einem ungewöhnlichen Haus Sie leben.“

 

Gradova: „Denken Sie selbst, wie schön es ist allen Gesundheit zu wünschen, obwohl man gar nicht krank ist.“ Aber mit dem Haus hat das nichts zu tun. Doch wenn es Ihnen bei uns gefällt, freue ich mich von ganzem Herzen.“

 

Smechov: „Und was für einen Garten ist auf Ihrem Grundstück - eine Augenweide!“

 

Gradova: „Was für ein Garten? Das ist doch bloß ein Gärtchen. Zwei Dutzend Obstbäume, ein paar Blumenbeete, die beiden Linden an der Haustür, ein Kastanienbaum – schon alles.“

 

Smechov (nicht einverstanden): „Nicht alles! Das Wunder ist, dass Sie mit Ihren guten Händen alles selbst gepflanzt und gepflegt haben. Jeden Tag, den Gott scheinen lässt, arbeiten Sie im Garten und dieser zahlt es Ihnen mit seiner Freigiebigkeit und seinen nicht verwelkenden Farben zurück.“

 

Gradova (steht auf und geht auf der Bühne herum, leidenschaftlich über Ihren Garten erzählend): „Was für Farben im Sommer? Wären Sie doch im Frühling bei uns zu Besuch, das wäre etwas ganz anderes! Hätten Sie nur gesehen, wie unser Kirschbaum mit zarter Mädchenröte leuchtete und der Flieder, beim Sonnenuntergang vom Frühlingsgewitter gewaschen, mit seinem betäubenden Duft alles um sich herum trunken machte und in den Nächten der prächtige Kastanienbaum wie ein Kerzenleuchter strahlte. Wie viel Licht hat er uns in all den Nächten geschenkt. Ach, wenn Sie doch alles gesehen hätten. Und die Blumen! Ich verstehe sie genauso wenig wie die Bäume. Aber ich richte mich beim Pflanzen ja nicht nach der Wissenschaft aus, sondern nach meiner Intuition. Ich würde den Blumen mein zweites Leben geben, wenn ich es hätte. Was für ein Glück fühlte ich in diesem Frühling, als ich die Schneeglöckchen hier und dort sah. Ich hatte sie im Herbst gepflanzt. Doch nach diesem kalten und erbarmungslosen Winter konnte ich nicht hoffen, dass die Keime kraftvoll genug gewesen wären, trotz allem zu sprießen. Und danach blühten auf der kleinen Wiese die Maiglöckchen auf.“

 

Smechov (verstellt ihr den Weg): „Maiglöckchen?“

 

Gradova: „Ja, Maiglöckchen. Das sind diese kleinen Blumen mit weißen Glöckchen an ihrem Stiel.“

 

Smechov (sieht sie durchdringend an): „An dem Stiel?“

 

Gradova (leise, beim letzten Wort zittert ihre Stimme und fällt in die Leere): „Hätten Sie das alles gesehen.“

 

Smechov: „Ich sah dies alles.“

 

Gradova: „Das kann nicht sein! Wann? Wo?“

 

Smechov: „In Ihren Augen.“

 

Gradova: „Das ist nicht möglich. Meine Augen können dies alles nicht wieder geben. Sie haben dazu keine Kraft.“

 

Smechov: „Doch ich habe alles klar gesehen: Die Schneeglöckchen, die Maiglöckchen und sogar die Margeriten.“

 

Gradova: „Margeriten?!“ (Pause) „Komisch. Ich habe Ihnen doch nichts von ihnen erzählt.“

 

Smechov: „ Ich sollte schon längst bei Ihnen ausgezogen sein. Doch ich kann nicht. Mir fehlt die menschliche Kraft, diese Schönheit zu lassen. Als sei ich in dieser Spießerwelt verzaubert worden. Mein ganzes Leben verachtete ich das alles. Und jetzt kann ich keinen Schritt nach außen machen. Etwas hält mich und lässt mich nicht gehen.

Einmal in der Nacht habe ich einen Versuch gemacht, habe meine Sachen schnell in eine Reisetasche gepackt und entschied mich auf englische Weise, ohne Abschied zu nehmen, mich von diesem gastfreundlichen Kosmos zu trennen. Ich hatte schon mein Zimmer verlassen, war die Treppe zum Erdgeschoß herab gestiegen und … Und das war es schon. Mein ruhmreicher und heroischer Auszug war zu Ende. Ich schaute alles um mich herum an und verstand, ich werde dieses Märchenhaus, Teremok, nie verlassen bis ich hinaus geworfen werde.  

 

Gradova (verständnisvoll): „Bleiben Sie, solange Sie möchten. Niemand will Sie verjagen. Auch Sie haben uns auf den ersten Blick gefallen. Sie sind in unseren Herzen wie eine wilde Blume aufgeblüht.“

 

Smechov: „Wie eine Blume?“

                                                2

 

Dieselben, Gradov tritt ein.

 

Gradov (lustig): „Wovon sprechen Sie?“

Gradova:  „Alexander hat mir erzählt, wie ihm unser Haus gefällt. Er nennt unser Haus ein Teremok, ein Holzhäuschen.“

 

Gradov: „Und warum nicht?! Der Vergleich gefällt mir sehr. Kein Steinhaus, keine kalte Gruft, sondern ein warmes, wärmendes und duftendes Holzhaus. Jede Kiefer habe ich selbst ausgewählt. Das Haus sollte trocken und ohne Schaden sein, kein Wurmstich. Die besten Fachleute fand ich, echte Meister ihres Faches. Sie gaben sich Mühe und ich bin auch nichts schuldig geblieben. Seit mehr als zehn Jahre steht das Haus und es ist immer noch wie neu. Man hat mich schon oft gebeten, es zu verkaufen. Doch ich verkaufe es auf keinen Fall. Überhaupt, wer verkauft denn schon sein Haus – nur die Zugvögel. Ich jedenfalls stehe hier fest auf meinen beiden Beinen und so bis zu meiner letzten Stunde. Dann tragt mich aus meinem Haus zum Friedhof.“

 

Gradova (an den Mann gewandt): „Warum sprichst Du so?“

 

Gradov (lustig): „Na Mutter, was kommen soll, dem kann man nicht entgehen. Wir unterstehen alle Gott. Aber ich sage das mehr für Alexander, damit er versteht, was ein Haus im Schicksal eines Menschen bedeutet. Der Mensch kann nicht ohne Haus leben. Ein Vogel baut sein Nest, ein Tier gräbt sich eine Höhle. Und der Mensch baut sich ein Haus.

(Er nimmt die Hände seiner Frau in seine Hände und streichelt sie lange): „Na Zugelaufener – hast Du meine Worte verstanden?“

 

Smechov: „Ich glaube ja.“

 

Gradov: „Gefällt es Dir bei uns?“

 

Smechov nickt und nimmt ein Buch vom Regal.

 

Gradov: „In diesen drei Wochen bist Du einem Menschen ähnlich geworden, hast Dich heraus gefuttert, ausgeschlafen, wurdest männlicher. Ehrlich, ich sage Dir, früher hattest Du gar keinen Respekt verdient: so dünn und farblos, ein Leichnam im Sarg sah besser aus als Du. Und jetzt bist Du aufgeblüht: Die Augen glänzen, Röte im Gesicht. Man spürt in Dir Bärenkraft erwachen. Wieso versteckst Du Deine menschlichen Eigenschaften?“

(Er sieht das Buch in der Hand von Smechov). „Du hockst immer noch über den Büchern. Wozu?“

Smechov.“ Die Bücher sind das Wissen und die Weisheit der Menschen. Ohne sie gibt es keinen Fortschritt.“

 

Gradov (atmet schwer auf): „Ach Jugend, die Weisheit kommt nur mit dem Alter. Wenn Du Dir die Hörner abgestoßen hast und Du hast Dir einige Beulen eingehandelt, vielleicht mit vierzig wirst Du klüger sein. Der weise König Salomon sagte: Wer das Wissen vermehrt, vermehrt auch das Leiden.“

 

Smechov: „Und was kann man da machen?“

 

Gradov (mit Betonung): „Das sollte man tun:  Wenn in den großen Büchern das Wissen gesammelt ist, muss man das Wissen im Leben umsetzen und nicht nur, im Bett liegen und gaffen. Man muss den Menschen zeigen, welchen Nutzen sie erreichen können.“

 

Smechov (empört): „Der Nutzen! Warum denn alles mit dem Geld messen?“

 

Gradov: „Warum denn mit dem Geld? Und wenn schon, ja, mit dem verfluchten Geld. Deine erleuchtete Menschheit hat sich noch nichts Besseres ausgedacht. Eben das Geld. Ich bin zum Beispiel ein Bauauftragnehmer. Ich bekomme einen Auftrag und für Geld erfülle ich ihn. Nehmen wir an, ich würde kein Geld dafür nehmen. Dann würden meine Arbeiter zu mir kommen. Sie werden nicht um Geld bitten, sondern ihren schwer erarbeiteter Lohn fordern und mich packen bis sie mir meine Seele heraus gerüttelt haben. Ich verstehe sie, sie müssen täglich ihre Familien ernähren. Wenn ich das Geld übrig habe, bezahle ich sie, wenn nicht - wie den. Bin ich ein edler Mann und nehme kein Geld von meinem Arbeitergeber, wie bezahle ich dann die Anderen? Wie viele Menschen schicke ich dann ins Verderben. Und Du kennst unsere Leute. Sie können auch den Roten Hahn aufs Dach setzen. Das Wissen, deine Bücher werden dann die ungebildeten Leutchen ins Feuer werfen. Denn wenn es kalt ist, dann sind die Bücher nur noch Brennstoff, um ein kaltes Haus zu erwärmen.“

Gradov (geht auf die Wanduhr zu und sieht, dass sie nicht geht. Zu Alexander): „Warum geht die Uhr nicht?“

 

Gradova (sie antwortet für Alexander): „Vielleicht habe ich vergessen, die Uhr aufzuziehen. Verzeih mir.“

 

Smechov: „Ich bin an allem schuld.“

 

Gradov: „Noch nie ist unsere Uhr stehen geblieben. Nie ging sie nach. Und jetzt …? Wie spät ist es denn?“

 

Smechov: „Ich weiß es nicht. Ich habe keine Uhr.“

 

Gradov: „Hast Du Deine Uhr im Zimmer liegen lassen?“

 

Smechov: „Ich hatte noch nie eine Uhr.“

 

Gradov (verwundert): „Wie kann ein moderner Mensch ohne Uhr leben?“

 

Smechov; „ Ein moderner Mensch kann nicht ohne. Ich schon. Sie sind wieder mit mir unzufrieden und das ist richtig. Meine einzige Pflicht in ihrem Haus war, die Uhr aufzuziehen und ich habe das hingezogen als könne ich die Zeit austricksen. Damit die Zeit nicht so schnell vergeht, sondern lieber ganz stehen bleibt (eine Pause). Oder nein – die Zeit sollte noch besser rückwärts laufen.

Gradov: Wenn es nach dir ginge, würdest du die ganze Menschheit um einige Jahrhunderte zurückwerfen. Oder hab ich nicht Recht?

Smechov: (entschließt sich laut zu sprechen) Ja um 100 Jahre zurück …nein lieber um 200 Jahre. Ich hätte gerne die Uhrzeiger zurückgestellt und meine Hand hätte dabei nicht einmal gezittert, ich versichere es Ihnen, die Menschheit wird sich noch um ihre Vergangenheit schämen, in Zeiten, wo unser Wissen zu unserem Leiden geworden ist. Alles, was der Mensch in seinen Händen und Kräften hatte, hat er gegen sich selbst gerichtet.

Wir müssen alle für einen Moment stehen bleiben, damit wir nicht auf den geschmiedeten Lauf der Zeit hören, sondern auf die leichten luftigen Schritte eines kleinen Mädchens auf Zehenspitzen, die mit Entzücken auf die Uhr sieht und wartet bis die festliche Zeit kommt und die Uhr ein neues Zeitalter einläutet.

Gradov: Naja, wenn du gar keine Uhr besitzt, dann stelle ich die Zeit nach meiner eigenen Uhr.

Smechov: Das steht Ihnen frei – wie Sie wollen.

Gradov: Ich werde jetzt selbst auf die Uhr aufpassen – du bist ein nutzloser Taugenichts.

 

Dieselben und die Mutter von Gradov

Mutter: (sich an Alexander wendend) Wer sind Sie denn und wie kommen Sie zu uns?

Gradov: Mama, seit 3 Wochen stellst du schon die gleiche Frage, es ist höchste Zeit, sich an Alexander zu gewöhnen.

Mutter: Beleidige doch deine leibliche Mutter nicht und mache sie nicht nervös. Ich will seine Wurzeln erforschen. Ich versuche alle auszufragen, aber niemand weiß etwas über seine Vergangenheit! Man kennt nur noch seine Oma und seinen Opa – ansonsten ist man ein unbeschriebenes Blatt! Wessen Verwandter bist du denn, kommst du aus der weiblichen oder männlichen Linie. Vielleicht habe ich dich einfach nur vergessen. So viele Jahre sind schon vergangen seit ich meine Heimat verlassen habe. Stelle dich doch uns vor! Erzähl es doch mal für uns alle und verheimliche nichts. Was die Augen nicht sehen, wird das Herz doch spüren. Modern ausgedrückt, wird das wie in einer Röntgene.

Gradova: (ohne Nachdruck) Mama nicht Röntgene, sondern Röntgen.

Mutter: Das wollte ich eben sagen, Tochter.

(sie wendet sich wieder an Smechov)

Du isst und trinkst mit uns zusammen, du wohnst unter unserem gemeinsamen Dach, erzählst aber gar nichts über dich. Du verheimlichst dein Portfolio. Guck nicht, dass ich so alt bin – ich bin eine bedächtige und ernsthafte Alte. Och, was für ein Gedächtnis hatte ich früher einmal, mein Freundchen. Jeden einzelnen Tag kann ich dir beschreiben, wie er früher war. Ich hatte schon von Geburt an so ein gutes Gedächtnis und schon immer war ich nicht auf den Mund gefallen. Ich sagte immer allen direkt ins Gesicht, was ich von ihnen hielt. Wenn du mich ausfragen willst, dann frage verschiedene Details und Fakten – verhöre mich. Ich mag es, mich an den Einzelheiten zu weiden. Ich genieße die Details, wie man einen Markknochen genießt. Frag mich direkt: Was hat meine leibliche Schwester, diese Sünderin, vor dem Krieg angehabt, eine Jacke oder ein Sarafan und welche Schuhe hatte sie an, wen hat sie geküsst und nach wen hat sie in der Nacht sich gesehnt, wessen Praline hat sie Weihnachten aufgegessen? Quäle mich nicht und fang an, mich auszufragen, sonst vergesse ich doch alles, du Peiniger. Ich bin doch schon in den Siebzigern.

Smechov: (mit Unverständnis) Na was hat denn Ihre Schwester vor dem Krieg angehabt?

Mutter: Aber vor welchen Krieg denn – vor dem 1. Weltkrieg oder vor dem 2. ? (alle lachen) Nein ich mache nur Spaß. Ich habe doch schon gesagt, ich bin eine moderne Alte. Deine erste Frage beantworte ich ganz ernsthaft mein Lieber: Meine geliebte Schwester hatte ein Kleid mit großen roten Punkten getragen. Sie hatte bloß ein einziges Kleid und nur ein Paar Schuhe hatten wir für beide. Wer am Morgen früher aufgestanden ist, der bekam auch die Schuhe. Geküsst hat meine Schwester den Stallknecht, den sie dann auch geheiratet hat, obwohl sie ihr ganzes Leben lang einen anderen geliebt hat. Ja, solche antagonistischen Eigenschaften hatte meine Schwester (Pause). Na, warum fragst du mich nicht weiter aus – schämst du dich oder bist du schon müde?

Smechov: Na, das war’s  schon, was soll ich noch fragen?

Mutter: (empört) Wie das - war’s schon? Bist du denn ganz verrückt geworden? Frage mich doch über die Pralinen aus, du Blutsauger!

Smechov : Welche Pralinen denn ?

Mutter: Welche Pralinen - hast du nie Pralinen gesehen? Früher hab ich auch Bonbons gemocht, nun aber nur Schokoladenpralinen. Bonbons kann ich nicht mehr beißen, ich kann doch nicht die anderen darum bitten, dass sie mir einen Bonbon vorkauen und mir dabei nicht die Konfitüre aussaugen.

Gradov: (ärgerlich) Mama, was erzählen Sie denn? Ich schäme mich sogar für Sie.

Mutter: Na, ich mag Pralinen, was soll ich dagegen tun. Ich habe keine Zähne mehr, aber der Wunsch nach süßen Dingen ist noch da. Ich hatte solche Qualen mit meinen Zähnen. Um Gotteswillen. Und Kunstzähne vertrage ich gar nicht. Wenn ich mit 32 Kunstzähnen lächle, erschaudere ich vor mir selbst. So einen weiblichen Nussknacker kann nicht jedermann überleben. Also bleib mir fern und schau nicht in meinen Mund, sonst wirst du womöglich noch ins Gras beißen.

(Pause)

Also mein Lieber, frag mich doch, wer die Pralinen gegessen hat! Und da du schon ein ganz altes Mitglied unserer freundlicher Familie bist, schließlich wohnst du ja schon seit 22 Tagen bei uns, sage ich dir wie dem Beichtvater – diese 2 Pfund Pralinen, die mein Vater mir zu Weihnachten gebracht hatte, hat meine Schwester in der Nacht aufgegessen, diese Sünderin. Dafür soll sie in der Hölle schmoren.

Gradova: Mama !

Mutter. Entschuldige Sojalein, ich konnte meine Zunge nicht im Zaum halten. Ich bin schon über sechzig. Meine Schwester ist schon seit 2 Jahren tot, aber diese Pralinen habe ich ihr bis heute nicht verziehen. Ich kann das einfach nicht! Ihr könnt mich zerstückeln oder auch vergewaltigen – ich könnte das nicht. Aber zur Zeit versucht leider niemand mich zu vergewaltigen und das macht mich als Frau sehr traurig. Vielleicht solltest du mein Vergewaltiger werden? (Sie schaut dabei auf Smechov, der schweigt und lächelt).

Also willst du eine alte Frau nicht glücklich machen? Schade!

Gradov: Mama, Alexander wird es noch ernst nehmen, er kann Ihre Witze überhaupt nicht einschätzen!

Mutter: Wer macht hier Witze? Ich bin nicht mehr so jung, als das ich zu diesem Thema Witze machen würde. Ich weine oft mehr als ich mich freue! (Sich wieder an Alexander wendend) Also wenn du mich nicht ausfragen möchtest, werde ich dir Fragen stellen! Wer bist du? Womit beschäftigst du dich? Womit verdienst du dir dein Brot?

Smechov: Wieso wollen Sie das wissen?

Mutter: Na, damit ich alles über dich in einem Hochgleismagazin veröffentlichen kann! Wie unverständlich bist du denn?

Smechov (sie intelligent korrigierend): in einem Hochglanzmagazin!

Mutter: (aufmerksam ihn betrachtend und zuzwinkernd) Oh, du bist ja hochgebildet, wie ich sehe.

Smechov : Ja.

Mutter: Ach das hab ich ja gleich verstanden. Bis zum Morgengrauen ist bei dir der Strom an und am Tage schläfst du und erwürgst das Kissen und dabei schnarchst du noch! Ach du heiliger Bimbam, und wie du schnarchst! So ein Schnarchen hält nicht mal der Teufel aus. Schließe lieber deine Tür, damit sie nicht durch die Zugluft, welche dein Schnarchen verursacht, auf und wieder zuschlägt. Sag mal, wie bist du überhaupt in unser Haus gekommen?

Smechov: Alexej Petrowitsch hat mich doch selbst eingeladen!

Mutter: Aha dann kommst du aus unserer Verwandtschaftslinie. Ja, du kommst ein bisschen nach dem Enkel meiner Cousine 2. Grades. Aber sie ist mit uns nicht wirklich verwandt, es ist eine ganz entfernte Verwandtschaft.

Ja, du bist diesem Enkel wie aus dem Gesicht geschnitten aber wir haben mit diesem Antlitz nichts zu tun. Also, du behauptest mein Sohn hätte dich ins Haus gebracht?

(sich an den Sohn wendend):  Sagt er die Wahrheit oder schwätzt er bloß?

Gradov : Mama! Was sagst du denn da? Ich habe dir schon eintausend Mal diese Geschichte erzählt! Wie oft kann man das denn noch fragen?

Mutter: So oft ich frage, so oft wirst du mir auch dieses Märchen erzählen. Zum tausendsten Mal höre ich nun schon diese Geschichte und verstehe gar nichts. Entweder ist der Erzähler dumm oder aber die Erzählung ist weder Fisch noch Fleisch.

Gradov: Ich bin ein Bauunternehmer, ich verdiene nicht viel, aber gutsituiert ist unsere Familie doch. Sie sehen es selbst!

Mutter: Ja,  Söhnlein, du kommst genau nach mir.

Gradov: Also wir haben diesen Bauauftrag bekommen- es ging um die Renovierung der Universitätsbibliothek. Ein wenig da was reparieren, dort etwas streichen, das Parkett neu legen.

Mit einen Wort – es ging um Kleinigkeiten. Aber wer die Kopeke nicht ehrt ist den Rubel nicht wert. Deswegen habe ich diesen Auftrag auch angenommen. Wer weiß schon, wie das Leben so spielt? Vielleicht hätte mir ein Baulöwe den Auftrag weggeschnappt, der fetter und geschickter ist, als ich es bin.

Mutter: Du erzählst viel, aber ich erkenne keinen Sinn darin. Wo ist das Salz in der Suppe?

Gradov: Mama, man sagt nicht das Salz in der Suppe, man sagt bei uns - Rosine.

Mutter: Du bist noch zu jung, um deine Mutter zu belehren. Die Rosine ist nur eine getrocknete Weintraube aber versuche ohne das Salz zu leben und du wirst verstehen das Süße braucht man einmal im Monat – das Salz aber jeden Tag.

Gradov : Nun gut, wir haben alles geregelt, die Baumaterialien, die Fristen wurden gesetzt und ich kam damals jeden Tag in diese Universitätsbibliothek und habe schon den Vertrag unterschrieben und wollte schon mit der Arbeit anfangen - aber ein Mensch ging mir nicht aus den Sinn. Jedes Mal, wenn ich in diese Bibliothek kam, saß da ein Mann ganz in die Bücher vertieft, wie eine Wanze im Teppich, ohne ein einziges Mal den Kopf anzuheben. Er saß am Tisch und las nicht an einem Buch, sondern an mehreren gleichzeitig und dabei machte er Notizen in seinem Heft und blätterte weiter und dachte dabei auch noch nach. O, mein Gott, dachte ich, was es auf dieser Welt alles so gibt. Ich sah noch nie so einen wissbegierigen Menschen. Als ich und der Auftraggeber den Vertrag unterzeichneten, rannte ich sofort in die Bibliothek, um zu schauen,  ob der Mann da wieder saß oder nicht. Ich nannte ihn  „das Denkmal“. Und tatsächlich saß er da, als ob er die Bibliothek nicht für eine einzige Stunde verlassen hat.

Mutter : Wer er? Ich verstehe das nicht.

Gradov : Na,  Alexander! Ich erzähle Ihnen doch über ihn. Ich hatte dann wirklich Mitleid mit dem Kerl und sagte: Mach doch mal Ferien oder fahre in Urlaub. Ich machte schon Anspielungen, damit er nicht mehr in die Bibliothek kommt – man wollte sie doch für 4 Wochen schließen. Aber er sprach gar nicht mit mir und sah mich träge an und ich hatte den Eindruck, er versteht mich nicht. Dann begriff er meine Worte und bat mich um nur drei Tage. Ich sagte ihm: 3 Tage ohne Arbeit bedeuten für mich große Verluste, darauf kann ich mich nicht einlassen! Also mach Schluss, sagte ich ihm, und komm in einem Monat zurück und mach dann solange du willst (Pause). In 2 Tagen rief mich der Bauleiter an und sagte: Irgendein Verrückter stand den ganzen Tag an der Tür und bat um Einlass in die Bibliothek. Ich wusste sofort, dies war mein „Denkmal“ Aber ich habe mir gedacht, ich unternehme gar nichts, es wird sich schon von selbst lösen. Am Donnerstag komme ich also zu diesem Bauobjekt und siehe da: Alexander steht im Flur, und um ihn herum die Bauarbeiter. Sie alle schimpfen ihnen wie wild aus: Du Blödmann, du Verrückter  …

Und er lächelt ihnen traurig zu und bittet sie die ganze Zeit um etwas.

Was willst du frage ich ihn, störe uns doch nicht bei der Arbeit, du verfluchter Kerl. Er sagt daraufhin: Ich habe es nicht geschafft. Was hast du nicht geschafft? - Schreie ich und packe ihn dabei an den Kragen. Und Alexander antwortet mir: Ich will die absolute Wahrheit wissen, ich muss nur noch 2 Tage in der Bibliothek sitzen und nachdenken, dann kenne ich sie. Als die Männer seine Worte vernahmen, spielten sie verrückt. Sie fingen an ihn laut auszulachen und wiederholten ständig: Gottesnarr, Gottesnarr…

Mit Mühe und Not habe ich ihn dann nach Hause geschickt. Aber am nächsten Tag stand er wieder an der Tür wie eine Sphinx.

Mutter: Was für eine Sphinx ? Hast du eine Sphinx auch noch in unser Haus eingeladen? Um Gottes willen. (sie bekreuzigt sich dreimal)

Gradov: (entnervt): Ja, die Sphinx ist doch auch ein Denkmal, warum sind Sie so unaufmerksam?

Sachenka schließt sich den anderen an. Sie steigt die Holztreppe herunter vom 1. Stock.

Mutter: Sachenka ist gekommen, mein Sonnenschein, meine Liebe und meine Freude. Guten Tag, Enkelin. (Sachenka küsst die Mutter)

Sachenka: Heute sagen wir schon zum dritten Mal guten Tag, man wird uns womöglich noch für verrückt halten.

Mutter: Mit einem guten Menschen kann man sich auch 100 Mal am Tag begrüßen, mein weißer Schwan! Und niemand wird uns dann in die Irrenanstalt verbannen. Ich kann mich noch gut für mich selbst einsetzen und auch noch für dich. Sie zeigt die geballte Faust und sagt: Haltet euch fest.

Sachenka: Warum schaut ihr mich alle so komisch an, bin ich nicht zur rechten Zeit gekommen?

Mutter: Wie zur unrechten Zeit ? Denke bitte nicht so, du bist immer rechtzeitig. Dein Vater erzählte uns von dem Denkmal.

Sachenka: (verwundert) Was für ein Denkmal?

Mutter: Naja, ein Grabstein für mich. Dein Vati reißt schon seit langem das Maul auf. Er denkt, dass ich nichts verstehe! (sie zeigt auf sich) Ein Objekt das man vorfristig abreißen sollte. Er hat sich entschieden mich noch lebendig zu begraben. (sich an Gradov wendend) Willst du mich dann bis zur Taille oder bis zu den Brüsten eingraben? Naja mit meiner Taille wirst du Probleme haben, sie überhaupt zu finden. Dann lieber bis zu den Brüsten, ich habe Größe 85, eine richtige weibliche Rüstung, keine winzigen Dinger. Und wenn du dir das doch anders überlegst und meine Hände freilässt, kann ich noch eine Reklametafel für dich in den Händen halten, ganz modern. Warum soll ich, die Alte, tatenlos auf dem Friedhof herumliegen, so hast du noch eine Zugabe zu der Rente, also lebendiges Geld von der toten Mutter.

Gradova: Mama, Sie sind heute zu Alexej einfach ungerecht

Mutter: Und was habe ich so kränkendes gesagt? Ich habe das im Fernsehen gesehen. Die Menschen standen, umhangen mit Reklametafeln, auf der einen Seite für ärztliche Behandlungen und auf der anderen Seite für Bestattungen. Also wir behandeln euch zuerst ärztlich, um euch dann zu bestatten. Sei mir nicht böse, Aljoscha, ich mach mich über mich selbst lustig und schneide auch noch Grimassen dazu. Das ist mein Grinsen als Antwort auf die moderne Zeit. Aber ich habe eine Forderung an euch alle. Es ist mir nicht egal, mit welcher Kleidung ihr mich zur Beerdigung tragt.

Gradov: Nun gut, ich erzähle weiter, ohne die Einzelheiten – nur im Allgemeinen. Alexander hat uns doch kleingekriegt und wir haben uns entschieden, ihn zu respektieren. Wir haben ihm einen Platz zugewiesen und haben ihm einen Stuhl und Tisch gegeben und haben ihn lesen lassen, zum Teufel mit ihm!

Mutter: Dann solltest du ihn in der Bibliothek lesen lassen, wieso hast du einen wildfremden Mann ins Haus geschleppt, was nun, wenn er ein Verrückter ist oder ein Sexualstraftäter. Du hast doch eine erwachsene Tochter im Hause.

Sachenka: Oma, wie kannst du bloß, Alexander ist ein ganz anderer Mann.

Mutter: Du kennst die Männer gar nicht, sie sind äußerlich alle ganz gut – bis zu einen bestimmten Moment. Guck mal - von der Universitätsbank ist er direkt zu uns nach Hause gesprungen, wie geschickt! Wie hat er das überhaupt geschafft? Ich kann das bis jetzt nicht verstehen. Soja verstehst wenigstens du das?

Gradova: Ich glaube das verstanden zu haben.

Gradov: Wenn ihr mir jedes Mal ins Wort fallt, werde ich nie dazu kommen, das Wesentliche bis zum Ende zu erzählen.

Mutter: Man kann eher sterben bis du das Wesentliche zustande bringst. Quäle uns doch nicht.

Gradov: Wir haben ihm einen Platz in der Bibliothek zugewiesen – alles war o.k., niemand war gekränkt.

(kurze Pause)

Ja, das war  aber auch nicht so. Am dritten Tag komme ich zum Objekt, um zu überprüfen, wie die Sache voran geht. Ich mache die Tür auf und glaube meinen Augen, nicht zu trauen. Meine Arbeiter stehen herum, die Münder weit aufgerissen und hören Alexander zu. Ich habe dann auch 2 Stunden lang zugehört. Aber meine Bauarbeiter, welche auf Akkord arbeiten, verstand ich nicht. Na gut, die das Gehalt bekommen, das ja! Aber diejenigen, die ich für ihre Zeit bezahle! Ihre Hände ernähren sie doch. Aber die ganze Baustelle stand still.

Mutter: (sich an Alexander wendend) Achso, mein Lieber, du wolltest uns ruinieren, dir ist aber auch nichts heilig.

Gradov: Na gut. Ich habe allen den Kopf gewaschen und einen Rüffel gegeben und jedermann gewarnt, wenn so etwas noch mal vorkommt, dann unternehme ich was und seid mir dann nicht böse. Dann gab es einen Handschlag und wir haben allen Unmut vergessen. Wir bekamen dann neue Aufträge, welche wir kaum schafften. Zwei Tage später komme ich wieder zum Objekt, man muss immer auf die Arbeiter aufpassen, sonst ist schon nach 30 Minuten alles weg. Ich stehe noch draußen an der Tür und es ist alles ganz ruhig. Niemand hält Reden. Es schien eine tüchtige Arbeitsatmosphäre zu herrschen. Ich wollte sogar nicht hinein, aber dann dachte ich mir, mit einem Auge schaue ich besser hin. Ich habe die Tür leise geöffnet, es ist immer angenehm zu beobachten, wie die Arbeiter, ganz ohne gepeitscht zu werden und ganz ehrlich einen schweren Karren zu tragen. Aber dann erstarrte ich vor Schrecken. Meine Arbeiter sitzen herum, einer auf dem Fensterbrett, einige auf den Stühlen, und andere auf dem Fußboden. Was meinen sie was sie taten …. ?

Sachenka. (lachend) Tranken sie? Du hast mir oft davon erzählt

Gradov: Wenn sie nur getrunken hätten, hätte ich nicht wie gelähmt dagestanden! Was mich besonders gekränkt hat, es hat niemand den Kopf in meine Richtung gedreht! Wie meint ihr, was die alle gemacht haben? Alle haben Bücher gelesen! Wie gefällt dir das? (empört) Sie haben gelesen!

Sachenka: Papa aber das ist doch gut so.

Gradov: Ich weiß nicht, für wen das gut sein soll. Ich habe dann meine Maßnahmen gegen diese lesende Gesellschaft ergriffen. Manche bekamen eine Geldstrafe, anderen wurde das Gehalt gekürzt, von manchen habe ich mich getrennt. Die haben aus der Arbeitszeit eine Mußestunde gemacht. Mit Alexander habe ich auch von Mann zu Mann gesprochen. Ich habe ihm alles erklärt und er gab mir daraufhin sein Ehrenwort, das so etwas nie mehr vorkommt. So sind wir auch verblieben. Am nächsten Tag war ich noch unruhig, und hatte erst um 15 Uhr Zeit, um in die Universitätsbibliothek zu rennen. Und dort …

Gradova: Haben sie wieder gelesen?

Sachenka: Ah, sie haben was Hochprozentiges getrunken?

Gradov: Nein!

Mutter: Haben die der Sphinx zugehört?

Gradov: Niemand hat es richtig erraten. Sie haben ...nachgedacht! Stellt ihr euch das einmal vor. Ich habe einen straffen Arbeitsplan. Sie haben alle meine Fristen zum Teufel gejagt. Man denkt nach ... und wer wird arbeiten?  Naja, philosophieren können wir alle, aber richtig einen Nagel in die Wand schlagen, so dass der Nagel dabei nicht verbogen ist, das kann jetzt niemand. Deshalb habe ich mich entschieden, Alexander lieber mit nach Hause zu nehmen, er soll seine Reden hier halten. Das ist viel einfacher, sicherer und gefahrloser und es ist billiger für mich. Ich wollte ihn sogar mit ins Baugeschäft nehmen aber das wollte er auf keinen Fall. Das Gewissen hat er gesagt, erlaube ihm nicht, andere auszubeuten!

Smechov: (empört) Alexej Petrowitsch, das habe ich überhaupt nicht gesagt.

Gradov: Stimmt, hast du nicht gesagt, aber deine Gedanken habe ich auch ohne deine Worte mit meinem kleinen Verstand begriffen, so klar wie ein frischer Morgen.

Smechov: Sie sind ein guter und gutherziger Mann. Sie haben mich, einen wildfremden Menschen, von der Straße zu sich nach Hause geholt, mir ein Dach über den Kopf gegeben. Glauben sie mir, ich schätze das sehr hoch. Glauben Sie mir oder nicht, ich habe nie jemanden beneidet. Ich kannte dieses Gefühl überhaupt nicht. Ich dachte, meine innere Welt sei nicht besser und nicht schlechter als die der Anderen. Neid kommt von dem Ohnmachtsgefühl, von der Verzweiflung, das der Mensch sein Schicksal nicht ändern kann. Das ganze Böse auf der Erde geschieht deswegen. Ich bin gutherzig wie Sie, wie Ihre Frau, Ihre Tochter und wie Ihr Mütterchen auch. Und ich spüre, dass meine Welt die Fortsetzung eurer Welt ist. Diese Welt ist so unbegrenzt, so riesig und so groß und wenn ich daran denke wird es mir im Herzen warm. Und ich bin dann bereit mich tief vor jedermann zu verbeugen, jedermann zu umarmen. (Alexander geht herum mit schweren Schritten und die Hände ringend) Ach wozu  bin ich denn in Ihr Haus gekommen!? Alles war in meinem Leben so gemäßigt, so gewöhnlich. Ich freute mich sogar auf mein Alleinsein. Jetzt verstehe ich, es war falsch und ungerecht, wenn ein Mensch sich von anderen Menschen loslöst.

Gradov: Du sprichst so schön, quasi sprechen wir eine gemeinsame Sprache, trotzdem verstehe ich dich nicht. Es gibt keinen Inhalt in deinen Worten, nur leere Phrasen.

Sachenka: (gekränkt) Papa, es ist alles so einfach. Alexander erzählt uns über sein voriges Leben. Er öffnet seine Seele für uns. Nicht jeder Mann kann alles über sich erzählen: Woran er leidet, was ihn quält, was ihm weh tut.

Gradov. Wenn der Mensch kein richtiges Ziel hat, dann wirft er sich hin und her. Er verbrennt innerlich, er gibt sich selbst und anderen keine Ruhe.

Sachenka. Ach, Papa, wie kann man nur so gefühllos sein.

Gradov: Vielleicht ist mein Herz wirklich verroht und hört niemandem zu und glaubt den menschlichen Worten nicht mehr. Alexander, ich will bis zum Ende ehrlich mit dir sein. Es tut mir leid, dass ich dich in dein Haus eingeladen habe. Seit diesem Tag geht es in unserem Haus drunter und drüber. Als ob es nicht mehr mein, sondern ein fremdes Haus wäre, welches mir vollkommen unbekannt ist

Smechov : (aufrichtig) Danke

Gradov: Wofür dankst du mir, komischer Kauz.

Alexander: Ich danke für  Ihre Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. Ich werde Ihr Haus bald verlassen

Sachenka: Denken sie nicht einmal daran, ich werde Sie nicht gehen lassen, das sollten sie wissen.

 

5

 

(Telefon klingelt)

Gradov und alle anderen gehen aus dem Zimmer, nur Smechov und Sachenka bleiben.

Sachenka: Seien sie bitte nicht böse mit Papa. Er ist immer so, wenn es nicht nach seinem Willen geht, er ist aber gutherzig. Sie haben das ganz treffend bemerkt.

Smechov: Nein Sachenka, ich bin überhaupt nicht auf ihren Vater böse.

Sachenka. Wie haben sie mich grade genannt?

Smechov: Habe ich was falsch gemacht? Ich dachte alle hier im Haus nennen Sie so.

Sachenka: Ja aber sie haben mich noch nie so genannt, immer Alexandra, Schura, Sascha …

Smechov: Gefällt es Ihnen denn nicht? Dann werde ich Sie niemals wieder so nennen.

Sachenka: ganz im Gegenteil, das gefällt mir sogar sehr gut. Ab jetzt nennen sie mich bitte immer so, ich werde nur noch auf diesen Namen hören.

Smechov: Sie sind so ungewöhnlich!

Sachenka: Wann sind Sie gestern ins Bett gegangen? Ich habe bis zum Morgengrauen Licht in ihrem Fenster gesehen.

Smechov: Ja womöglich habe ich die Nachttischlampe nicht ausgeschaltet. Verzeihen Sie bitte.

Sachenka: (schaut auf Smechov mit Bewunderung) Haben sie dabei auch etwas geschrieben? (Pause). Ja sie haben etwas geschrieben, zeigen sie mir doch bitte etwas davon!

Smechov: Ich befürchte, es gibt nichts zu zeigen: Keine Form, kein Inhalt – nur irgendwelche trockenen Notizen und Überlegungen, welche niemand braucht. Wie ihr Vater sagen würde: alles drunter und drüber.

Sachenka: Sie verleugnen sich selbst. Ich glaube Ihnen nicht. Haben sie doch Erbarmen mit mir. Zeigen sie mir doch wenigsten etwas von ihrer Arbeit. Ich glaube, das ist was unbedingt Herausragendes, Reines und Gutherziges.

Smechov: Das sind alles nur ihre Fantasien. Ich schwöre im Namen Gottes, dass das nicht stimmt, was sie sagen.

Sachenka: Sie können gar nicht lügen also lassen sie es. Sie haben uns ihre Welt beschrieben und ich glaube ihnen bedingungslos, da ich ihre Welt selbst gefühlt habe. Sie ist so frisch, das ich angefangen habe zu weinen und jetzt sagen sie mir etwas ganz anderes.

Smechov: Gut ich werde sie nicht belügen. Ich habe einen Traum, der nie in Erfüllung gegangen ist und nie in Erfüllung gehen wird. Ich weiß das und ich spüre das tief im Herzen. Und trotzdem beschäftige ich mich damit, wie ein Verrückter. Mein Traum ist wie ein Nachtstern am Himmel und ich bewege mich zu diesem Stern hin! Ich sehe ihn und manchmal halte ich ihn sogar in den Händen. Ich habe aber keine Kraft die Natur dieses Sternes zu ergründen. Weder die Natur dieses Sternes, noch innere Gesetze, noch Prinzipien, noch die Ziele des Universums. Und je näher ich an der Lösung dieses Rätsels bin, desto mehr entferne ich mich von dem Stern. Der Stern wird immer anziehender aber auch unlösbarer.

Sachenka: Was wollen Sie denn verstehen?

Smechov: Interessiert es Sie wirklich?

Sachenka: aber natürlich, warum sind sie so misstrauisch? Schießen sie einfach los!

Smechov: Ich will die menschliche Seele verstehen, ihre Motive, Ziele, Aufgaben und ihr wichtigstes Gen, welches höher ist als alle andere Gene und sie beherrscht. Bis ich in ihr Haus kam, war alles mehr oder weniger verständlich für mich. Ich war mir fast sicher, dass der Verstand der Anfang von jeglichem menschlichen Seins ist. Diese Eigenschaft der Seele hat alles auf der Erde zum Leben erweckt. Der Verstand bewegt uns alle und wir unterwerfen uns ihm.

Sachenka: Und was denken sie jetzt?

Smechov: Sie werden mich für einen Verrückten halten und das ist auch richtig so. Aber in diesen drei Wochen in diesem Haus hab ich alle meine Überzeugungen revidiert. Und jetzt bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass nicht die sichere Vorwärtsbewegung in eine Richtung, sondern eine unsichere, ungewöhnliche, riskante, unvernünftige, nur der Zufall und nur diesem Zweck gewidmete, der wichtigste Teil unserer Seele ist. Bloß ein Zufall hat mich in ihr Haus gebracht. Nur Dank diesem chaotischen Zusammenprall von zufälligen Umständen, stehen wir uns jetzt gegenüber und unterhalten uns. Das heißt, ich rede und Sie schweigen. Oh, ich habe sie mit meinen Quatsch schon so angestrengt. Nun gut bald kommt Jewgeni, ihr Freund. Er wird Sie schon amüsieren können, mit mir sind sie nur schweigsam und traurig, Sachenka.

Sachenka: (barscher Ton) Shenja ist nicht mein Freund.

Smechov: Wieso denn nicht? Ich dachte er sei ihr Bräutigam.

Sachenka: Sie irren sich.

Smechov: Aber …

Sachenka: (gereizt) Ich wiederhole es ihnen noch einmal, sie irren sich sehr stark was Jewgeni anbetrifft.

(Sachenka verlässt das Zimmer)

Auf der Treppe begegnet sie ihrer Mutter.

Gradova: Sachenka was ist los?

Sachenka: gar nichts!

 

6

 

Smechov und Gradova

Gradova: Warum hatte Sachenka so einen leeren Blick. Was haben sie ihr denn gesagt?

Smechov: Ich glaube, ich war taktlos. Ich habe Shenja als Bräutigam von Sachenka bezeichnet.

Gradova: Aber das stimmt doch absolut. Das ist doch auch so!

Smechov: (die Hände zusammengeschlagen) Dann verstehe ich gar nichts.

Gradova: (verstellt) Warum kommt es überall wo Sie erscheinen zu einer Zwietracht, offenbaren sie mir das!

Smechov: Soja Veniaminovna, haben sie doch Erbarmen mit mir, wann hab ich je ein böses oder kränkendes Wort gesagt. Mein Ehrenwort darauf, ich hatte nie die Absicht jemanden zu kränken. Alle meine Manieren sind einfach linkisch und meine Bewegungen sehr gradlinig, Ich bin wie ein Elefant im Porzellanladen. Sogar wenn ich auf der Stelle trete und mich nicht bewege bringen ich allen Probleme, so dass es mir peinlich wird und ich mir vor mich selbst schäme. Ich störe immer und bringe allen Unannehmlichkeiten, verzeihen Sie mir das bitte!

Gradova: Ich habe doch bloß Spaß gemacht. Wollen wir lieber den Tisch decken? Bald kommen die Gäste und ich habe noch nicht einmal das Besteck hingelegt. Helfen sie mir bitte.

Sie macht das Büfett auf und holt daraus Teller und Gläser …

Smechov: Wie viele Gäste erwarten Sie heute?

Gradova : Vier

Smechov: Und wenn es kein Geheimnis ist, wer ist das?

Gradova: Sie kennen sie doch alle: Jewgeni Stolarov und die Kowrows mit ihrer Tochter. Ach ich habe ganz vergessen Sachenka zu sagen, das Olga nach Hause zurückgekehrt ist.

Smechov: Wie schön.

Gradova. Ja, schön, ich bin gerne eine Gastgeberin

Smechov: Schön das Sie gesagt haben - sie erwarten 4 Gäste und nicht 5.

Gradova: Aber ich erwarte wirklich vier und nicht fünf. Warum soll ich denn fünf sagen?

Smechov: Dann gehöre ich also nicht mehr zum Gästestamm. Ich freue mich wie ein Kind!

(Mit einer ungeschickten Geste schüttet er ein Glas um. Das Glas fällt zu Boden und zerbricht in viele Stücke.)

Gradova: Hab ich es doch gewusst, was Sie nicht mit den eigenen Händen kaputtmachen, das zerschlagen sie.

Smechov. Verzeihung ich werde gleich alles aufräumen. (Er versucht die Scherben einzusammeln und verletzt sich dabei).

Gradova: Och, wie ungeschickt sind Sie denn, Sie haben sich sogar verletzt.

Smechov: Eine Lappalie, beachten Sie das gar nicht!

Gradova. Ich muss unverzüglich Ihre Wunde verarzten.

Smechov: Hören sie auf, sich aufzuregen, es wird’s schon von alleine heilen, wie bei einen Hund.

Gradova: Nein, Sie könnten eine Blutvergiftung bekommen, seien Sie doch nicht so eigensinnig (Gradova holt eine Hausapotheke, kehrt zurück und setzt sich aufs Sofa.)

 

Sie zaubert dann ganz lange über Smechov, tief versunken. Er küsst sie dann auf das Haar.

Gradova (empört aber nicht laut) Was machen sie denn? Wieso haben sie meine Haare geküsst?

Smechov: (traurig) Sie wissen das nicht? Sie sehen gar nicht wie ich leide

Gradova. Noch kein Mann ist an einer leichten Handverletzung gestorben

Smechov (zeigt auf das zerbrochenes Glas): Ich rede doch nicht von dieser Lappalie, machen Sie doch die Augen auf, Soja Veniaminovna, und dann sehen sie, was ich nicht mehr verheimlichen kann. Ich liebe sie! Seit 3 Wochen gehe ich um sie herum wie ein Schatten und kann dagegen gar nichts tun.

Gradova: (tritt etwas beiseite) Sie sind verrückt geworden!

Smechov. Ja ich bin verrückt geworden. Als ich Sie zum 1. Mal sah, fing der Boden an, unter meinen Füßen zu beben. Der Himmel ist mir auf den Kopf gefallen. Ich kann an gar nichts anderes mehr denken, alles in mir hat sich im Nu gewandelt, es gibt für mich das vorige Leben nicht mehr.

Gradova: schweigen Sie, ich möchte das alles nicht hören

Smechov. Ich kann nicht mehr schweigen.

Ich habe keine menschlichen Kräfte mehr, dieses Gefühl zu bekämpfen. Ich habe sofort verstanden, alles was ich in der Vergangenheit hatte, bevor ich sie traf, war nur darauf ausgerichtet, sie treffen zu können und ihnen dann zu sagen, das ich sie liebe, wie ich niemanden auf der Erde geliebt habe und lieben werde,

(Gradova steht auf und tritt zur Seite)

Gradova: Das kann nicht wahr sein. Ich gab ihnen nicht den geringsten Anlass, so zu denken.

Smechov. Ich denke das alles nicht. Ich lebe mit einem Traum, einer Hoffnung, dass Sie mich auch irgendwann lieben werden

Gradova: Ich bin ja älter als sie.

Smechov: Ach, was reden sie, Soja, es geht nicht um das Alter, es geht um die Seele und die Seele hat kein alter. Es gibt weder Geburtsdatum noch Todestag. Sie sind so jung, so schön, so liebenswert.

Gradova. Schweigen Sie, ich bitte sie darum.

Wecken sie nicht in mir das, was schon längst gestorben ist, ich will gar nichts mehr hören

Smechov. Aber ich liebe sie

Gradova. Sie sind noch zu jung, um mit solchen Worten um sich zu werfen

Smechov: sagen sie mir, bitte...

Gradova: (nervös lächelnd) Was soll ich ihnen sagen?

Smechov. Na wenigstens, das ich ihnen nicht ganz gleichgültig bin (eine Pause).

Gradova: ja, sie sind mir nicht ganz gleichgültig, aber das spielt alles keine Rolle!

Smechov: womit kann ich ihnen denn meine Liebe beweisen? Kein Mensch ist mir näher auf der ganzen Welt! Befehlen Sie mir, ich werde jeden ihrer wünsche erfüllen: ich werde klauen, lügen und verraten. Wenn sie mich auffordern, einen Menschen zu Grunde zu richten, werde ich das tun ohne, einmal nachzudenken

Gradova (mit Angst): Solche Befehle werden sie nie von mir hören.

Smechov: Was soll ich tun?

Gradova: fahren Sie schon morgen weg!

Smechov: sie verjagen mich also schon aus ihrem Haus. Wenn es nur irgendwie alles einfacher machte.

Gradova: (wieder zu sich kommend): Nein ich verjage sie nicht, ich bitte sie darum, mein Freund!

Smechov: aber, wie denn ? Ich werde ohne sie sterben!

(es ertönen die Stimmen der Hausbewohner und der Gäste)

Was soll ich nur tun?

Gradova: die Menschen kommen ins Zimmer, schweigen Sie!

Smechov. Soja, Soja!

 

Gradova: sie werden uns noch zugrunde richten!

 

Smechov: Uns?

 

Gradova: Ja, uns!

 

Smechov: Dann fahre ich morgen weg! Aber schenken Sie mir zum Abschied ein Treffen mit ihnen.

 

Gradova:  Mein Gott wofür bestrafst du mich so? Es kommt gleich jemand.

Smechov: Sagen sie mir, wann und wo?!

 

Gradova: Heute Nacht in diesem Zimmer. Punkt 2 Uhr nachts. Aber schweigen sie nun um Gottes willen!

 

 

6

 

 

 

 

In den Raum treten Sachenka, Mutter, Stolarow und Kowrows.

Alle begrüßen einander. Es riecht deutlich nach Spiritus.

 

Kowrow: waschen sie schon den Fußboden mit Spiritus, verehrte Soja Veniaminovna.

(alle schweigen und schauen auf Smechov und Gradova).

 

Smechov: Nein, ich habe aus Versehen ein Glas zerschlagen und mir dabei die Hand verletzt und Soja Veniaminovna ließ mich nicht verbluten.

 

Mutter: (empört) jetzt machst du auch noch unser gesamtes Geschirr kaputt. Na, er will uns wirklich ruinieren. (Sie macht die Scherben weg).

 

Sachenka: (sich an Smechov wendend) Haben sie sich verletzt! Zeigen sie mir das.

Mama, warum hast du ihm denn die Hand nicht verbunden?

 

Gradova: Ich habe das nicht geschafft, es ist gerade eben passiert.

 

Sachenka: Ich mach das selbst (sie legt ihm einen Verband an. Danach gibt Smechov allen Männern die Hand und begrüßt auch die Frauen).

 

Kowrow: Na, Alexander, mach dich doch mit meiner Tochter bekannt! Olga hat im Ausland fertig studiert und ist nun  nach Hause zurückgekehrt.

 

Smechov (stellt sich vor): Alexander.

 

Olga: Olga.

 

Smechov: Ich freue mich, sie kennenzulernen.

 

Olga: Ebenfalls.

 

Kowrowa: Soja, warum bist du heute so blass, ist etwas passiert?

 

Gradova: Ich fühle mich unwohl heute.

 

Mutter (mit Angst): Vielleicht sollte man einen Arzt holen?

 

Gradova: Das bringt nichts, alles geht von selbst weg. Ich gehe heute einfach früher ins Bett.

 

Mutter: Richtig, vertraue nicht  den modernen Ärzten und begebe dich nicht einfach so in ihre Hände. Für Geld stellen sie dir jede Diagnose - moderne Äskulapjünger!

Lege dich hin und kümmere dich um nichts, ich werde alles selbst erledigen.

 

Gradova: Danke Mama.

 

Kowrow: Wo ist der Hausherr? Warum empfängt er seine Gäste nicht?

 

(Gradov tritt ein und begrüßt alle)

Gradov: Entschuldigt mich bitte, dass ich auf mich warten ließ. Ich war im Keller und habe für euch französischen Kognak geholt. Deshalb bin ich zu spät.

 

(alle setzen sich an den Tisch und essen zu Abend)

 

Mutter: Olga warum erzählst du uns nichts über das Ausland? Das Glück liegt dort wahrscheinlich überall haufenweise in den Straßen. Und niemand will es aus dem Schmutz holen. Die Menschen sind ganz faul geworden.

 

Kowrow: Ja, wirklich, Tochter, erzähl uns doch was,  (spricht mit Stolz):

Sie hat ein Diplom mit Auszeichnung bekommen. Man hat ihr 2 Arbeitsstellen zur Auswahl angeboten und sie hat auf alles verzichtet, sie wollte für ihre Heimat von Nutzen sein. Also Olga …

 

Olga: Was soll ich denn erzählen, du hast schon alles über mich selbst erzählt. Die Leute im Ausland sind genau solche Menschen wie wir. Aber es gibt dort mehr Ordnung und Sauberkeit in den Häusern und in den Seelen. Das ist schon der ganze Unterschied.

 

Gradova: Man erzählt - das Geld ist dort der einzige Maßstab der menschlichen Werte und des Wohlstandes? Ist das denn wahr?

Olga: Ich habe hier in ein Paar Tagen mehr Gespräche übers Geld gehört als dort im Laufe von 5 Jahren. Man sieht dort, den in die Augen stechenden Luxus und den schrecklichen Armut, wie bei uns,  nicht. Man schämt sich dort manchmal so, dass man ein Russe ist! Am liebsten möchte man auf seine Vergangenheit verzichten und wegrennen, egal wohin. Etwas ist mit der russischen Seele passiert, immer war diese Seele so offen, so ehrlich und so barmherzig. Als ob es diese russische Seele gar nicht mehr gäbe.

 

Smechov (einfach): Es hat diese Seele so nie gegeben.

 

Kowrow (nachfragend): Wie -  nicht gegeben? Das verstehe ich nicht.

 

Smechov: Es gab nie die russische Seele, wie kann man also dann danach trauern?

 

Kowrow (friedlich): Wieso denn,  Alexander ! Es gab sie und plötzlich gibt es sie nicht?

Tolstoi, Tschechow, Karamzin, Berdjajew - sie alle haben nur über dieses Phänomen gesprochen! Sie irren sich, Alexander!

 

Smechov: Ich wiederhole, es gibt keine russische Seele, es gibt aber auch keine deutsche, keine französische, keine englische, keine spanische Seele - können sie sich das vorstellen? Es gibt die Seele so nicht!

 

Kowrow: (steht auf) Wie denn keine menschliche Seele? Und was gibt’s dann?

 

Smechov: Beruhigen sie sich. Ich bitte sie, Valerie Pawlowitsch! Es gibt eine Seele, aber es gibt keine nationale privilegierte Seele, nein! Wenn sie über russische Seele reden, dann bitten Sie nicht darum, sondern fordern Sie etwas besonderes, den wichtigsten platz neben den Gott. Sie wollen auf der rechten Seite vom Gott sitzen und über andere menschliche Seelen herrschen, die ihrer Ansicht nach nicht richtig gebaut sind, unvollkommen, nur weil man von Geburt an keine russischen Wurzeln hat.

 

Kowrow (gereizt, geht auf der Bühne nervös hin und her): Ich fordere nichts besonderes, meine Seele ist russisch und das ist alles.

 

Smechov: Es scheint ihnen nur so, ihre Seele spricht mit ihnen russisch und das nur weil sie keine Fremdsprache beherrscht und als Folge verachtet sie alles Fremde.

 

Kowrow: Sie erkennen meine russische Seele nicht an?

 

Smechov: Nein, ich erkenne sie nicht an.

Kowrow (immer lauter sprechend): Und ich behaupte- ich habe die russische Seele!

 

Smechov: Sie irren sich!

 

(die Situation am Tisch spannt sich an)

 

Kowrow: Nun gut, ich habe keine russische Seele. Und meine Tochter, hat sie sie oder nicht?

Smechov: Nein.

 

Kowrow: Aber meine Tochter ist doch nicht im Ausland geblieben! Sie kehrte nach Hause zurück! Wieso hat sie dann denn keine russische Seele? Wenn sie sie nicht hätte, wäre sie doch in der Fremde geblieben.

 

Smechov: Olga ist nach Hause zurückgekehrt, in die Heimat! Ich weiß das  nicht genau, vielleicht hatte sie einfach nur Heimweh und sie sehnte sich nach ihren Wurzeln oder war es etwas ganz anderes …

 

Kowrow: Aber ihre Wurzeln sind doch russisch.

 

Smechov: Nein.

 

Gradova: (sich an Smechov wendend): Sie sind so kategorisch Alexander!

 

Kowrow: Na, zum Beispiel die Wolga. Die Wolga ist ein russischer Fluss, der von der Quelle bis zur Mündung fließt.  Aber nur der Oberlauf ist der Anfang des Flusses. Sie wollen doch nicht verneinen, dass die Flüsse, die in Russland fliesen- russisch sind?

 

Smechov: Doch, das verneine ich sehr wohl.

 

Kowrow: (vor Aufregung schreit er und schlägt mit der Faust auf den Tisch) Die Wolga ist ein russischer Fluss!

 

Smechov: warum denn russisch ? Hat der Fluss es ihnen in einem privaten Gespräch verraten? Oder gibt es irgendwelche Beweise für ihre Worte? Zeigen sie mir, wo ist der Fluss russisch?

 

Kowrow: (versucht sich zusammenzureißen, weil sein Gesprächspartner so friedliebend zu ihm spricht) Aber auf jeder Landkarte ist die Wolga als ein russischer Fluss bezeichnet.

 

Smechov: Die Wolga fließt durch das Territorium von Russland, das stimmt schon.

Aber es gab doch nicht immer Russland. Dann will ich wissen: wem gehörte damals der Fluss? Wer herrschte über den russischen Fluss als es noch kein Russland gab?

 

Kowrow: Ich verstehe Sie nicht.

 

Smechov: Sie irren sich, diese ganze Behauptungen, dass die Wolga ein russischer Fluss ist und sie uns gehöre, sind falsch!

 

Kowrow: Und wie soll ich das glauben?

 

Smechov: Wir müssen verstehen - der Fluss gehört uns nicht, sondern wir gehören dem Fluss. Wir gehören dieser Erde, dieser Luft und diesem Wasser. Sie werden doch nicht auf die Sonne einen Aufkleber machen: “Russisch“.

 

Kowrow: Aber die Sonne ist doch keine Erde. Soll es bedeuten, dass wir Russen gar nichts Eigenes haben?

 

Olga: Papa, Alexander macht sich einfach lustig über dich, siehst du das denn  nicht?

 

                                                 7

 

Smechov: (gekränkt) Ich? Warum verstehen Sie das denn nicht? Die Wolga ist uns nur für einige Zeit zur Aufbewahrung gegeben.

Gradov: Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Also man wird uns irgendwann den Fluss wegnehmen? Wenn wir nicht mehr da sind und Russland auch nicht mehr da ist?

Smechov: Richtig, wir sind nicht mehr da und Russland ist auch nicht mehr als Staat da. Der Fluss wird immer  weiter bestehen.

Gradov: Aber wie denn? Wie kann ein russischer Mensch ohne den Staat leben? Dann herrscht doch Anarchie auf der Welt.

Smechov: Ich glaube nicht, dass der Staat die beste Form ist, die Menschen zu regieren. Den Staat haben die Menschen selbst geschaffen und oft ist er gegen sie selbst gerichtet. Ich spreche über die Zeit, wo es keine Grenzen mehr zwischen den Staaten gibt und diese Staaten selbst nicht mehr existieren, dann kommt …

Olga: (fällt ihm ins Wort und sieht ihn hasserfüllt an) …das Paradies auf Erden.

Smechov: (nickt einverständlich)

Gradov: (wendet sich an Smechov und steht auf) Na, nehmen wir an, das Paradies kommt auf Erden, welche Sprache werden dann die Menschen miteinander sprechen? Englisch, spanisch, französisch oder lässt du uns unser Recht, russisch zu sprechen, weil wir doch Russen sind? Na, welche Sprache ?

Olga: (höhnisch) Die Sprache der Liebe - versteht ihr das nicht?

Sachenka: (spricht mit Begeisterung und nicht das Falsche in Olgas Worten spürend) Richtig, Olga, alles richtig. Wie hat der Prophet Sofoniy gesagt: “Ich gebe den Menschen dafür eine reine Sprache, damit sie den Namen Gottes rufen und dem Gott Schulter an Schulter dienen“. Richtig, Alexander.

Smechov: Du bist sehr klug. Sachenka, siehst du, du weißt schon so viel.

Stolarow: Zwei Tauben haben eine gemeinsame Sprache gefunden. Nie kommt es zu einem Paradies auf Erden. Das sind doch alles nur Märchen. Eine Utopie.

Gradova: Warum denn Shenja?

Stolarow: Weil ich dagegen bin. Ich bin damit nicht einverstanden, ich brauche solch ein Paradies nicht. Ich will nicht einen Teil meines Besitzes, welcher nur mir gehört, weg geben. Meine Kinder und Enkelkinder bekommen das und nicht fremde Hände. Ich war ein Russe, ich bin ein Russe solange ich noch atmen kann und ich werde auch wie ein Russe sterben. Die Wolga bleibt ein russischer Fluss und all diese klugen Reden sind nur für Schwächlinge bestimmt und sonst nichts. Orakel!

Smechov: Dann sollen wir nur das russische Wasser trinken und kein anderes?

Stolarow: (verständnislos) Was hat das mit dem Wasser zu tun? Wir sprechen jetzt über den Fluss.

Smechov: Der Fluss ist Wasser.

Stolarow: Und was?

Smechov: Komisch, in der Theorie verteidigen Sie ihre Meinungen aber nicht in der Praxis!

Stolarow: Warum denn nicht? Wie können Sie das beweisen?

Smechov: Na, sie trinken jetzt französischen Kognak, warum denn nicht den russischen? Zum Wohl! (er erhebt sein Glas und möchte anstoßen aber niemand erwidert das, er trinkt dann sein Glas alleine leer).

Stolarow: (mit Verdacht) Was hat das alles mit Kognak zu tun?

Olga: Mit Kognak hat das auf folgende Weise zu tun: Als ich im Ausland war, kamen öfters welche zu uns, die Gottesnamen immer wieder benutzten, die uns belehrten und alles erklärten. Aber die waren so elend, sie hatten keine Decke zum zudecken in der Nacht. (ganz böse sprechend) Gottesnarren. (Pause)

Gradov: Na, siehst du Alexander, wie das Volk dich nennt. Meine Männer und auch die Intelligenten, das kommt nicht einfach von so daher.

Sachenka: Papa, das ist unbarmherzig.

Smechov: (ruhig) Macht nichts, Sachenka. Ich bin schon daran gewöhnt. Die Menschen wissen nicht was sie sagen und was sie machen.

Stolarow: Wir arbeiten, wir machen, wir dienen – so wie wir das halt können. Wir sitzen nicht an einem Tisch und denken nicht in höheren Sphären. Aber wir vergessen unsere Pflichten nicht und verdienen unser Brot im Schweiße des Angesichts.

(Smechov steht auf, entschuldigt sich und verlässt die am Tisch Sitzenden. Sachenka folgt ihm bald.)

Gradova: Wieso haben Sie den Menschen so gekränkt, Shenja? Das ist nicht gut.

Olga: Er hat es verdient, der Gottesnarr!

Mutter: Ich verstehe nicht, was ihr hier so redet. Der Gottesnarr ist ein Mensch Gottes schlechthin, oder irre ich mich? Der Gottesnarr ist näher am Leid, deshalb spürt er die ganze Ungerechtigkeit auf der Erde schärfer und bitterer. Und kann deshalb für sich keine konkrete Rolle finden. Er bemüht sich um alle und bekommt deshalb auch die Ohrfeigen von allen. Er ist stark, aber für dieses Leben nicht bestimmt. Er kann nicht überleben. Er kann nicht mit den Ellenbogen arbeiten, kann keinen Fuß stellen und er kann keine Gemeinheiten machen.

 

8

 

 

(Alle stehen auf und gehen allmählich aus dem Zimmer, Einer nach dem Anderem. Nur Gradova und Kowrowa bleiben.)

Kowrowa: Oje, ich habe so eine Angst bekommen, als es zum Streit am Tisch kam. Ich konnte gar nicht atmen, habe nur zugehört und war wie hypnotisiert. Ich habe die Kraft eures Untermieters gespürt. Er ist kein Mensch – er ist ein Teufel.

Gradova: Natascha was sagst du? Wir leben schon im 3. Jahrtausend und du erzählst immer noch diese alten Sachen.

Kowrowa: Um Gottes willen. Die Sache ist nicht koscher. Jag ihn weg und lass ihn nie mehr ins Haus!

Gradova: Nicht ich habe ihn zu uns gebracht, also werde ich ihn auch nicht wegjagen. Aber ehrlich gesagt, ich fühle mich unruhig mit ihm zusammen. Das Herz schlägt so stark.

Kowrowa: Verheimliche mir nichts. Erzähle mir alles. Du siehst ganz blass aus.

Gradova: Ich kann dir nichts erzählen. Ich verstehe selbst nichts davon. Im Kopf bei mir ist Nebel und die Hände zittern.

Kowrowa: Lass uns ein wenig Kognak trinken meine Liebe.

Gradova: Ich mag das nicht.

Kowrowa: Ich weiß, dass du nicht trinkst, aber in diesem Fall dient der Kognak als Medizin. Sieh dir doch die Männer an, sie haben geschrien und gestritten, dann haben sie was getrunken und sind nun wieder ruhig.

Gradova: Gut. aber nur ein paar Tropfen. (Sie stoßen an und verlassen dann das Zimmer.)

 

 

 

 

 

 

 

9

 

 

 

(Olga kommt von der 2. Etage herunter. Sie setzt sich auf das Sofa. Bald schließt sich ihr Jewgeni an.)

Stolarow: Haben Sie Sachenka gesehen?

Olga: Nein.

Stolarow: Und Alexander?

Olga: Den Gottesnarr habe ich auch nicht gesehen. Wahrscheinlich gurren die Täubchen irgendwo miteinander.

Stolarow: Was wollen Sie damit sagen?

Olga: Nichts, außer das Ihre Braut einen anderen liebt und Sie gar nicht beachtet.

Stolarow: Das stimmt nicht! Wieso habe ich eigentlich diesen Menschen beleidigt? Ich hätte mich besser zurückhalten sollen.

Olga: (mit Unverständnis) Den Menschen? Sehen Sie in diesem Alexander einen Menschen? Sie irren sich. Das ist ein schlaues und erbarmungsloses Tier.

Stolarow: Sie haben diesen Menschen zum 1. Mal heute gesehen und erzählen schon solche Dinge über ihn?

Olga: Er ist ein Tier. Ich versichere es Ihnen. Er ist gekommen um etwas zu stehlen und er wird es machen wenn er es noch nicht gestohlen hat.

Stolarow: Ja, Alexander gefällt mir nicht – ich kann das auch nicht verheimlichen. Ich liebe ihn nicht und respektiere ihn nicht, aber er bleibt für mich trotzdem ein Mensch.

Olga: Na. dann sind Sie wohl mit mir einverstanden, das ein Mensch ohne Liebe und Respekt nur ein Tier ist. Ich kenne solche!

Stolarow: Was für solche ?

Olga: Zunächst sind sie fromme Lämmchen und ihr tierisches Wesen verbergen sie. Aber umso voller und tödlicher verhöhnen sie die Seele und den Körper des Opfers. Die Zeit kommt und Sie werden sich an meine Worte erinnern. Die haben nichts Heiliges an sich, keine Ehre, kein Land und  keinen Glauben.

 

 

10

 

 

(Shenja geht Sachenka suchen. Olga bleibt alleine. Dann betritt Sachenka das Zimmer, aus dem Garten kommend.)

Olga: Jewgeni hat nach dir gesucht.

Sachenka: Warum?

Olga: Wahrscheinlich hatte er Sehnsucht nach seiner Braut. Ich habe ihn dann zu dir geschickt und gesagt: „Suchen Sie Ihre Geliebte in den Armen von Alexander.“

Sachenka: Übrigens, hast du Alexander gesehen?

Olga: Ich dachte du hast ihn längst gefunden.

Sachenka: Nein er ist wie von der Erde verschluckt.

Olga: Na, Gott sei Dank, wozu brauchst du ihn überhaupt?

Sachenka: Und du?

Olga: Wir haben uns seit 3 Jahren nicht gesehen. Es sieht aber so aus, als hätten wir gestern Abschied voneinander genommen. Willst du mich nicht umarmen und küssen? Wir waren doch wie 2 Schwestern!

Sachenka: Olga, du hast mich weder angeschrieben noch angerufen. Meine Briefe hast du gar nicht beantwortet. Was sollte ich mir dabei denken? Ich dachte du möchtest mich nicht mehr kennen und du bist nicht mehr an meine Person interessiert. Von deinen Eltern habe ich manche Neuigkeiten von dir erhalten und ich freue mich über deine Erfolge. Ich weiß, dass du geheiratet hast und dass du glücklich bist. Ich kann es bis jetzt nicht fassen, dass du vor mir sitzt. Du kamst unerwartet wie  Schneeflocken im Sommer. Ich gratuliere dir zu deiner Hochzeit.

Olga: Sachenka, mein Glück ist längst vorbei. Es war einmal Glück und nun nicht mehr. Aber Ende mit diesem Thema!

Sachenka: Wieso, was ist passiert?

(Sie nimmt die Hand von Olga und drückt sie an ihre Brust. Dann küsst sie Olgas Hand und Olga fängt an zu weinen.)

 

 

 

11

 

 

Die Mutter betritt das Zimmer und sieht 2 weinende Mädchen.

Mutter: Unglaublich, nur  wegen der Kerle so zu leiden und ein Meer von Tränen zu vergießen. Ich sage euch: Die Männer sind euer Leiden nicht wert!

Sachenka: Vielleicht weint Olga nicht deswegen.

Mutter: Und du? Weinst du nur aus Gesellschaft oder hast du in deinem Herzen auch schon einen Splitter? Schluss mit Leiden! Es gibt so viele Männer auf der Welt. Obwohl ich alt bin, aber wenn ich an diese unendliche Zahl von Männern denke, die ich nicht mehr mit beiden Händen anzeigen kann, dann weine ich selbst auch. Aber ich weine weil ich kraftlos bin und ihr weint weil ihr dumm seid. Och. wenn ich so jung wäre wie ihr, hätte ich soviel angerichtet. Kein Mann wäre mir weggelaufen. Und wenn, dann nicht weit – nur bis zum Friedhof! Ich bin schrecklich eifersüchtig.

Sachenka: Oma, gehe bitte weg. Wir müssen ernst miteinander reden.

 

 

 

                                         12

 

 

(Sachenka und Olga bleiben zu zweit.)

Sachenka: Richtig. Schluss mit den Tränen. Lieber reden wir miteinander.

Olga: Du hast es einfach so zu reden. Du bist jung, schön und geliebt.

Sachenka: Wer sagt das? Wie viele Verehrer hast du immer um dich herum gehabt? Hast du das schon vergessen?

Olga: Und wo sind die jetzt?

Sachenka: Und dein Ehemann?

Olga: Er hat mich sitzenlassen.

Sachenka: (mit Schmerz) Wie? Wann ?

Olga: Vor 3 Monaten. Aber sage bitte meinen Eltern nichts, ich möchte sie nicht traurig machen damit.

Sachenka: Ich sage ihnen nichts. Warum hat er dich verlassen?

Olga: Er ist nach Hause gekommen und hat mir noch in der Tür stehen erklärt, dass er mich nicht mehr liebt.

Sachenka: Ist er ein Franzose, ein Engländer?

Olga: Wer denn?

Sachenka: Dein Ehemann!

Olga: Welche Rolle spielt das? Er hat mich weggeworfen!

Sachenka: Du bist keine Blume, kein Spielzeug oder Buch, welches man in die Hand nimmt und wieder wegwirft. Du bist eine Frau, du bist ein Mensch!

Olga: Ich verstehe dich nicht Sachenka! Ich bin ein Mensch und was bedeutet das?

Sachenka: Was verstehst du nicht? Niemand darf dich wegwerfen. Niemand hat dieses Recht. Verlassen ja, sich scheiden lassen ja - aber nicht wegwerfen!

Olga: Du bist so komisch. Wie auch immer- weggeworfen oder verlassen. Würde er mich jetzt rufen- würde ich bis ans Ende der Welt zu ihm gehen. Auf den Knien würde ich zu ihm kriechen. Nichts könnte mich aufhalten.

Sachenka: Liebst du ihn?

Olga: Ja, ich liebe ihn, aber was bringt es?

Sachenka: Wenn du ihn liebst, so warte auf ihn. Beherrsche  dich und beiss die Zähne  zusammen. Hab Geduld – lächle und warte weiter. Er kehrt auf jeden Fall wieder zu dir zurück.

Olga: Du bist noch so ein Kind. Wie kann er denn zurückkehren? Er hat eine Andere!

Sachenka: Das spielt keine Rolle. Das ist sogar gut, dass er eine Andere hat. Lass ihn eine Andere haben.

Olga: Was ist denn gut daran?

Sachenka: Er wird seine Lektion schon erhalten. Er wird einsehen, was für ein Glück er verloren hat. Und er wird auf Knien zu dir zurückkehren.

Olga: Es ist so einfach den Anderen Ratschläge zu geben. Und wenn es dir passiert wäre, was dann?

Sachenka: Du bist mir nicht fremd. Ich gebe dir die gleichen Ratschläge, wie ich sie mir auch selbst geben würde.

Olga: Und wenn ich dir Alexander ausspannen würde? Was würdest du dann sagen? (eine Pause) Hab doch keine Angst, du Dummchen. Ich habe das einfach so gesagt, ich brauche ihn nicht! Wann ist dein Hochzeit mit Shenja?

Sachenka: Es wird keine Hochzeit geben!

Olga: Wie? Hast du es dir anders überlegt?

Sachenka: Ja.

(sie umarmen sich und verlassen das Zimmer)

 

13

 

 

(Shenja findet Alexander im leeren Zimmer.)

Stolarow: Alexander ich muss mit Ihnen reden. Es ist sehr wichtig.

Smechov: Dann sprechen Sie – ich höre zu!

Stolarow: Ich habe mich unwürdig benommen. Ich bitte Sie, mich deshalb zu entschuldigen. Wünschen sie, dass ich mich jetzt gleich in Anwesenheit Aller entschuldige?

Smechov: Warum entschuldigen Sie sich denn? Ich bin ihnen gar nicht böse.

Stolarow: Also verzeihen sie mir?

Smechov: Ich wiederhole nochmals: Es gibt nichts zu entschuldigen.

Stolarow: Na wie sie wünschen. Jetzt geht es noch um Sachenka. Darf ich hoffen, dass unser Gespräch unter uns beiden bleibt?

Smechov: Selbstverständlich.

Stolarow: Nach ihrer Ankunft in dieses Haus hat sich Sachenka sehr stark verändert und alles ist jetzt nicht mehr so, wie es einmal war.

Smechov: Was habe ich denn Schlechtes getan? Ihre Vorwürfe scheinen mir, unbegründet zu sein.

Stolarow: Mir scheint, dass Sachenka ein wenig Interessesse an Sie hegt, vielleicht sogar nicht an Sie persönlich, sondern mehr an ihren Ideen. Ja, sie war ganz anders vorher. Und jetzt immer irgendwelche Geheimnisse, Missverständnisse und rätselhafte Blicke…

Smechov: Ich weiß wir verstehen einander nicht sehr gut. Ich weiß nicht warum. Aber glauben sie mir: Sachenka ist bloß ein Kumpel. Sie bleibt auch bloß ein Kumpel.

Stolarow: Stimmt das wirklich?

Smechov: Mein Ehrenwort. Ich habe keine geheimnisvollen Gedanken. Ich habe sie auch nie gehabt. Stellen Sie sich das vor: Erst heute habe ich Sie als ihren Bräutigam bezeichnet und sie hat mich korrigiert und sagte, das ich mich irre. Jetzt verstehe ich aber: Jemand anders irrt sich. Sachenka ist nur wie alle anderen Bräute der Welt. Sie möchte nicht zugeben, dass jemand Ihr Herz grenzenlos erobert hat. Ah, das war nur ein Scherz von Sachenka und ich habe es nicht gleich begriffen.

Stolarow: Ich bin nicht so naiv um objektive Sachen nicht einzusehen. Deshalb beschwöre ich Sie: Fahren Sie weg! Verlassen sie dieses Haus. Wenn die Menschen, welche hier wohnen, Ihnen etwas bedeuten. Sie werden ihnen nichts sagen, schon allein, um Sie nicht zu kränken. Aber jeder hier im Haus spürt eine Bedrohung. Seien Sie so lieb und fahren sie weg.

Smechov: Was soll das alles bedeuten? Einfach alle sind heute gegen mich. Gut! Morgen werde ich dieses Haus verlassen.

Stolarow: Ich danke Ihnen.

 

 

14

 

(Alle versammeln sich im Esszimmer.)

Mutter: Es ist schon spät. Ich habe schon  allen die Betten  gemacht. Jeder kann ins Bett gehen. Sachenka und Olga werden in einem Zimmer schlafen. Morgen ist Sonntag. Ihr könnt ganz lange schlafen – ich werde euch nicht wecken.

 

 

15

 

 

(Alle verlassen das Esszimmer. Es ist Nacht. Alles ist leise. Man hört nur das Schlagwerk der Uhr. Stolarow kommt die Treppe herunter, setzt sich aufs Sofa und schaut aus dem Fenster. Einige Minuten später betritt Sachenka das Zimmer.)

Sachenka: (ängstlich) Wer ist da?

Stolarow: Ich.

Sachenka: Wer ich?

Stolarow: Na ich, Shenja doch!

Sachenka: Haben Sie mir aber eine Angst eingejagt! Wenn Sie nur wüssten wie mein Herz nun rast. Wie können Sie so was nur machen und warum schlafen Sie nicht?

Stolarow: Und Sie?

Sachenka: Ich bin heruntergegangen, um ein Beruhigungsmittel für Olga zu holen. Derweil Sie hier wie ein Gespenst sitzen.

Stolarow: Ich kann halt einfach nicht schlafen. Ich weiß nicht warum, aber ich war mir sehr sicher, dass ich Ihnen heute hier begegnen werde. Wir hatten heute einander gar nicht ein paar Worte gesagt.

Sachenka: Ich will mit Ihnen  nicht sprechen. Sie sind mir heute zuwider. Wenn ich nur daran denke, was für böse Worte Sie Alexander am Tisch gesagt haben - werde ich ganz wütend.

Stolarow: Ich habe mich doch schon bei ihm entschuldigt!

Sachenka: (mit Begeisterung) Stimmt das, Shenja? Oh, Sie sind ja ein Prachtkerl.

Stolarow: Ich habe Sie noch nie angelogen. Sofort nach dem Abendessen fand ich Alexander und entschuldigte mich.

Sachenka: Oh, wie schön. Niemand soll einen anderen Menschen erniedrigen. Ein Erniedrigter kann viele schlimme Dinge anrichten. Eine kranke Seele verzeiht die Erniedrigungen nicht. Aber wenn Alexander Ihnen schon vergeben hat, will ich Ihnen auch nicht mehr böse sein. Gehen Sie schlafen! Es ist schon so spät.

Stolarow: Und Sie?

Sachenka: Ich auch. (sie schaut auf die Uhr) Oh, es ist schon 2 Uhr Nachts .Normale Leute haben schon das 3.Mal geträumt und wir haben noch nicht einmal Schlaf in den Augen. Außerdem ist es nicht gut wenn man uns zusammen sieht.

Stolarow: Wie denn? Man soll uns nicht zusammen sehen!? Wir sprechen nur miteinander. Wir haben Vollmond und es ist der längste Tag des Jahres.

Sachenka: Ja aber auch die kürzeste Nacht des Jahres … haben sie das vergessen? Gehen Sie schlafen.

 

 

 

16

 

 

(Plötzlich hört man Schritte, Jewgeni und Sachenka versuchen sich aufgeschreckt hinter einer Gardine zu verstecken. Dann hören sie, dass jemand das Zimmer betritt und nervös herumgeht. Dann betritt noch jemand das Zimmer.)

Smechov: (Er küsst die Hände von Soja Veniaminovna.) Also Sie sind doch gekommen! Danke, Sie haben keine Angst vor Gerüchten, vor Klatsch und Verurteilungen. Sie sind einfach gekommen. Ich weiß wie schwer das ihnen gefallen ist. Ihre Seele ist eingeschüchtert aber sie ist da! Meine Freude, wie habe ich mich nach Ihnen gesehnt - meine Liebe, meine Geliebte!

Gradova: Ruhe, mein unvernünftiges Kind, Sie werden noch das ganze Haus aufwecken.

Smechov: Ich verstehe selbst, dass ich leiser als eine herab fallende Stecknadel und ganz bescheiden sein muss, aber ich kann mich nicht zusammennehmen. Meine Freude ertönt in mir wie ein Echo. Mein Herz rast wie verrückt. Hören sie mal! (Er nimmt ihre Hand und drückt sie an sein Herz.)

(Pause)

Gradova: Ich bin hierhergekommen um ihnen zu sagen, dass zwischen uns nichts ist und nichts sein wird.

Smechov: Ich will nicht mehr als ihre Hand in meiner Hand halten. Ich will die gleiche Luft einatmen wie Sie. Ich will ihren Schatten zart berühren. Ihre Stimme hören. Ihre Katze wohnt doch in ihrem Haus und Sie nehmen diese Katze auf den Arm, Sie liebkosen Ihre Katze, Sie streicheln Ihre Katze. Sie drücken ihre Katze an Ihr Herz. Und ich will nichts anderes als ihre Katze sein. Ich brauche kein anderes Schicksal. Ich will zu ihren Füßen liegen, wenn sie etwas stricken. Ich will ihren Fußabdrücken folgen und immer wissen dass ich aus ihren Händen essen werde. Machen sie mich bitte zu einem vierbeinigen Geschöpf und ich werde nicht dagegen murren sondern täglich, stündlich dem Gott danken für diese Gottesgabe und diese Gutherzigkeit, die ich gar nicht verdient habe.

Gradova: Wozu erzählen sie mir das Alles? Das ist nicht richtig, dass wir überhaupt hier sitzen, wie 2 Diebe …

Smechov:  Nein, wir sind keine Diebe. Der Dieb nimmt das, was ihn nicht gehört. Wir aber nehmen nur unser Eigenes. Zum Teufel mit allen Verurteilungen. Ich liebe sie und sie mich auch. Ich spüre das. Sie haben einfach Angst das zuzugeben. Und wenn es noch nicht passiert ist, geben sie mir nur etwas Zeit. Ich werde ihnen mein Herz und meine Seele öffnen. Sie werden dann verstehen, man könnte mich lieben. Wirklich – ich bin nicht so schlecht, wie alle glauben. Ich bin doch nicht daran schuld, das mein Herz wie eine Blume ist. Es war noch nie für jemanden geöffnet. Die Schönheit dieser Blume erblüht nur für Sie. Diese Blume ist so angezogen von Ihnen weil Sie ihre einzige Sonne sind.

Gradova: Mein Gott. Mein Gott.

Smechov: Bitte, weisen Sie mich nicht ab. Geben Sie mir eine Chance. Schenken Sie mir bitte nur Hoffnung und ich werde alles tun für Sie. Fahren wir zusammen weg. Schon morgen verlassen wir das Haus gemeinsam.

Gradova: Wohin denn?

Smechov: In die Welt, in die lebendige, schöne, wunderbare Welt. Natürlich kann ich Ihnen noch nicht alles geben, was es in dieser Welt gibt. Aber alles was ich habe, gehört auch Ihnen. Schöpfen Sie davon ohne Maß. Zählen Sie nicht, alles gehört Ihnen.

Gradova: Aber was können Sie mir bieten?

Smechov: Meine Sonne wird Ihre Sonne sein. Der Wind, der in meine Segel bläst, wird Ihr Wind sein. Das Meer, die Flüsse, die Bäume, das Gras, meine Gedanken, meine Träume, das silberne Mondlicht und die Sterne. Alles wird auch Ihnen gehören.

(Smechov geht ans Fenster und will die Gardinen aufmachen damit es im Zimmer heller wird.)

Gradova: Bitte nicht die Gardinen wegschieben. Im Mondlicht kann ich Ihnen nichts sagen.

Smechov: Ich weiß nicht, wie ich mein Brot verdienen werde. Aber hat Jesus nicht gesagt: “Macht euch keine Sorgen um euern Lebensunterhalt, um Essen, Gesundheit und Kleidung. Leben bedeutet mehr als nur Essen und Trinken, und der Mensch ist wichtiger als das, was er anzieht. Seht euch die Raben an! Sie säen nichts und ernten nichts, sie haben keine Vorratskammern und keine Scheunen; aber Gott versorgt sie doch. Meint ihr nicht, dass er sich um euch noch viel mehr kümmert? Und wenn ihr euch noch so viel sorgt, könnt ihr damit euer Leben auch nur um einen einzigen Augenblick verlängern? Wenn ihr aber euer Leben nicht einmal um eine Sekunde verlängern könnt, was sorgt ihr euch um all die anderen Dinge?“

Gradova: Was ist denn mit Sachenka und mit Mama?

Smechov: Wir nehmen sie einfach mit…und die Katze auch. Jetzt oder später. Wir werden alles selbst entscheiden. Glauben Sie mir, ich kann vieles. Es gab einfach früher niemanden in meinen Leben, für den ich etwas machen konnte. Ich hatte alles Nötige! Und jetzt verstehe ich: Eine Familie erfordert die Erfüllung vieler Pflichten. Aber glauben Sie mir. Ich werde mit größter Sorgfalt alle Verpflichtungen übernehmen.

Gradova: Wie kompliziert ist das alles. Dieses Haus ..

(Smechov fällt ihr ins Wort)

Smechov: Ich werde für sie genauso ein Haus bauen und noch viel besser. Aus Stein, mit Säulen, Stuck und 3 Stockwerke hoch. Und ich schwöre Ihnen, es wird in diesem Haus Platz für jeden geben. Kommt zu uns, Bekannte und Unbekannte! Es wird immer warm und gemütlich in diesem Haus sein. das Licht wird immer brennen. Die Tische werden immer voll mit Leckereien sein.

(Gradova schüttelt verneinend den Kopf.)

Smechov: Glauben sie mir nicht? Ah, Sie meinen, ein Gottesnarr ist zu nichts fähig?

Gradova: (zuckt zusammen) Sprechen Sie nicht so über sich. Sie sind kein Gottesnarr. (eine Pause entsteht)

Smechov: Wer bin ich dann?

Gradova: Sie sind mein lieber Junge.

Smechov: Also lieben sie mich auch?

Gradova: Ich liebe Sie, ich liebe Sie, ich liebe Sie …Ihre Ideen haben meine innere Welt aufgewühlt, aber nichts ist mehr zu ändern. Hören Sie, NICHTS!

Smechov:  Sagen Sie das nicht, solange der Mensch lebt, solange hofft er. Finden sie doch die Kraft tief in sich. Lassen Sie die alte nicht mehr lebensfähige Vergangenheit hinter sich. Es fällt schwer, ich weiß das. Es scheint so, als ob ein einfacher Mensch das nicht schaffen kann. Aber Sie müssen nur den 1. Schritt machen… einen kleinen Schritt und alles Vergangene bleibt dann hinter ihnen. Ich will doch nicht, dass Sie auf alles verzichten. Aber finden Sie einen neuen Sinn und die Konturen des fremden und unbekannten Ufers werden ihnen näher kommen, deutlicher und vertrauter. Und Sie werden dann verstehen, dass Sie den einzigen und richtigen Weg genommen haben.

Gradova: Nein, alles ist schon vorprogrammiert.

Smechov: Gibt es denn wirklich gar keine Hoffnung mehr?

Gradova: Nein, Alexander.

Smechov: Hängen Sie so an ihre alte Welt?

Gradova: Ich sehe einfach keine gemeinsame Zukunft für uns.

Smechov: (mit Wehmut)Ich danke Ihnen für ihre Direktheit. Wissen Sie, einmal war ich unterwegs nach Hause, spät in der Nacht und bin meinem Schatten begegnet. Ein ganz gewöhnlicher Schatten, welcher immer den Menschen begleitet, ein ganzes Leben lang. Und plötzlich fing der Schatten an zu wachsen und wurde größer. Er wuchs direkt vor meinen Augen. Der Schatten wurde riesengroß. Er wurde zu einem Hünen. Der Schatten sprach mich dann auch an.

Gradova: (mit Schreck) Wie kann ein menschlicher Schatten denn sprechen?

Smechov: Vielleicht war es auch kein Schatten. Es ist jetzt auch nicht wichtig. Das Wesentliche meiner Geschichte ist wichtig. Also es hieß ungefähr so: “Deine helle Welt kann dir nichts geben, du bist nicht fähig diese Welt zu ändern. Wozu denn alle Leiden und Hoffnungen ? Du musst wissen, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Verbeuge dich vor mir und du bekommst alles. Alles was du dir wünscht, es wird nichts mehr für dich unmöglich sein.“  Bisher hatte ich immer noch Kraft, mich diesem Monster zu widersetzen, es erscheint aber immer wieder vor mir. So bitte ich Sie mich nicht abzulehnen und mich nicht aus ihrem Herzen zu vertreiben. Manchmal habe ich Angst vor mir selbst, weil ich nicht weiß, was ich von mir selbst erwarten kann. Dann wird die helle Welt immer dunkler und freudloser. Ich gehe weg, leben Sie wohl! (Smechov steht auf und macht 2-3 Schritte in Richtung Treppe.)

Gradova: Halt, bleiben Sie doch stehen, mein lieber Junge. Ich will ihnen alles erklären. Ich kann doch nicht zu Ihrer Last werden. In ein paar Jahren schon bin ich eine alte Frau. Dann werden Sie es selbst verstehen, das Sie einen unverbesserlichen Fehler gemacht haben.

Smechov: Nur deshalb haben Sie mich abgelehnt, ist das schon alles?

Gradova:  (scheu) Ja.

Smechov: Was für ein weiblicher Quatsch. Vergessen Sie Ihre Worte und denken überhaupt nicht daran. Zweifeln Sie nicht an mir. Ich werde Sie mein ganzes Leben lang lieben - Soja. (sie küssen sich)

Gradova: Ab jetzt sind in meinen Herzen nur 2 Menschen, die ich liebe: Sachenka und Sie. Wie schön das auch eure Namen einander ähnlich sind. Sachenka ist mein liebes Mädchen und Sie Alexander sind mein lieber Junge.

Smechov:  Ja Soja, was für ein wunderschönes Leben wartet auf uns. Wie viele gute Sachen werden wir gemeinsam tun. Wir werden noch so viele Entdeckungen machen, soviel fühlen und erleben. Wir werden nie müde, von den Menschen begeistert zu sein. Die Menschen arbeiten den ganzen Tag und träumen trotzdem von einfachen, großen, guten, barmherzigen, ehrlichen und aufrichtigen Dingen. Wir werden zusammen mit anderen Menschen die Hände halten und voranschreiten. Und das ist schon ein Wunder, wir sind dann wie die Glieder einer Kette und ohne diese Gemeinsamkeit kann richtiges volles Glück nicht kommen. Was für ein Leben wartet auf uns!

Gradova: Und  was ist mit Sachenka?

Smechov: Ich bin doch kein herzloser Mensch, ich verstehe was in deinem Mutterherzen vor sich geht. Ich werde Dich, Sachenka und Mama vor allem beschützen. Also entschieden?

Gradova: Ja! Endgültig und unumkehrbar.

Smechov: Gut dann spreche ich schon morgen mit deinem Gatten.

Gradova: Lieber spreche ich mit ihm. Aber wer spricht mit Sachenka?

Smechov: Das mache ich, in letzter Zeit haben wir uns gut verstanden. Oh wie schön und ruhig ist es nun in meinem Herzen, ich fühle mich wie nach einer Schlacht. Auf wundersame Weise bin ich am Leben geblieben und habe gesiegt. Aber ich habe keine Kraft mehr, meine leise menschliche Freude zum Ausdruck zu bringen, außer mit Küssen und Tränen.

Gradova: Ich muss gehen.

Smechov: Gehe doch! Aber morgen kommt die neue Ära, die neue Zeitrechnung und wir werden uns nie mehr trennen.

(Gradova verlässt das Zimmer und Smechov dann auch.)

 

 

17

 

 

(Die Beiden, welche hinter der Gardine standen, kommen hervor.)

Sachenka: Was für eine Nacht, was für eine lange Nacht? Diese Nacht scheint nie zu Ende zu gehen, alles was hier gerade passiert ist, muss man sofort vergessen.

Stolarow: Natürlich.

Sachenka: Gehen Sie weg, ich muss alleine sein.

Stolarow: Ich verstehe das.

Sachenka: Schnell, los!

(Stolarow geht raus, Sachenka setzt sich auf das Sofa und weint.)

 

 

18

 

 

(Morgens. Langsam erwacht das ganze Haus, Licht strömt durch das Fenster. Sachenka sitzt alleine auf dem Sofa. Oma geht ihren häuslichen Pflichten nach.)

Mutter: Warum bist du so früh aufgestanden, geh doch noch ein wenig schlafen! Ich bin grade wach geworden und du bist auch schon wach? Es ist so ein schöner Morgen heute und du bist so betrübt. (Pause) Was kann man dagegen tun, was passiert ist, ist passiert.

Sachenka: Was ist passiert?

Mutter: Na, es kommt halt vor, der den man liebt ist einen irgendwann widerlich und derjenige, der uns der nächste in der Welt ist, ist zu uns gleichgültig und kalt wie Eis.

Sachenka: Wer liebt wen nicht, ich verstehe gar nichts? (Pause)

Mutter: Man versteht schon alles, der Ehemann von Olga liebt sie nicht und sie leidet. Die Liebe und der Hass sind immer beieinander im Leben. So ist das Leben halt beschaffen, aber die Menschen leben doch nicht nur mit der Liebe. Ich kenne viele Menschen, sie leben gut und sind fröhlich, gebären Kinder, kaufen Autos und bauen Boote.

Sachenka: Keine Boote Oma, das heißt: Yachten.

Mutter: Nun gut, die Schiffe. Soll ich die jetzt Pfannkuchen  oder Piroggen mit Pilzen machen?

Sachenka: Ich will gar nichts.

Mutter: Man muss essen, um zu Kräften zu kommen und damit man gegen jedes Unglück gewappnet ist. Was soll man dagegen tun Sachenka, sie ist doch deine Mutter.

Sachenka: Was hat das mit meiner Mutter zu tun?

Mutter: Was habe ich gesagt? Ich habe nichts gesagt, ich frage bloß, ist Soja heute schon die Treppe herunter gekommen oder nicht?

Sachenka: Nein.

Mutter: Nun gut, dann schaffe ich alles alleine, das ist nicht zum 1. Mal so. Sie wird wahrscheinlich sehr müde gewesen sein gestern, ich lasse sie weiter schlafen. Im Schlaf kann sie keine Erkrankung überwältigen.

Sachenka: Sie schläft?! (Sachenka versucht anzufangen zu erzählen) Weißt du …

Mutter: (hält den Zeigefinger an den Mund) Pssst, Sachenka, ich weiß alles, deswegen hüte ich meine Zunge und mische mich gar nicht ein. Und du schweig auch und überhaupt sei nicht so hektisch.

Sachenka: Wie? Hast du alles mitbekommen?

Mutter: Nichts habe ich mitbekommen und gar nichts habe ich gesehen, mit meinem alten Herzen habe ich alles begriffen. Ich lebe doch schon so lange, ich habe schon alles gesehen.

Sachenka: (ihre stimme zittert) Was wird aus mir werden, aus Papa…

Mutter: Mir ist es doch egal, bei wen ich als Schmarotzer lebe, für mich ist nur wichtig, das ich dich mein Mädchen immer vor mir habe.

Sachenka: Ach Oma, wie schwer mir das alles fällt. Oma ich liebe ihn doch und er liebt Mama.

Mutter: Es ist schwer sich zwischen 2 Ufern zu entscheiden, aber man muss sich entscheiden, sonst treibt einen die Strömung hinweg und man ist verloren.

 

 

19

 

 

(Alle versammeln sich wieder im Esszimmer um zu frühstücken. Sie setzen sich an den Tisch und trinken Tee.)

Gradov: Na liebe Gäste, wie habt ihr geschlafen?

Kowrow: Ich habe wie ein Toter geschlafen, so eine Luft ist in diesem Haus, wie Honig und Kiefer, wie ein Schlafmittel. Meine Frau konnte mich kaum wecken heute.

Kowrowa: Ja ich bin selbst kaum wach geworden. Na, liebe Gastgeber, danke für alles, aber es ist an der Zeit für uns aufzubrechen.

Kowrow: Richtig, wir gehen schon nach Hause.

Sachenka: Wieso denn? Bleibt doch noch ein wenig. (Die Gäste stehen auf und nehmen Abschied.) Ich werde euch noch nicht gehen lassen. Sie haben selbst gesagt, dass es ihnen bei uns gefällt. Na wirklich, was wollt ihr zu Hause machen? Es scheint mir, heute passiert etwas sehr Eigenartiges. (Die Gäste stehen unentschieden herum.)

Gradov: Ja, wirklich bleibt noch, wozu diese Eile? Der Morgen ist so schön.

Mutter: Was für ein Morgen? Es ist schon 12 Uhr mittags, normale Menschen gehen schon wieder schlafen.

Sachenka: Ich werde euch nun von meinen Traum erzählen, welchen ich gestern Nacht hatte. Ihr werdet es nicht bedauern.

(Die Gäste entscheiden sich zu bleiben. Gradova spricht leise zu Smechov.)

Gradova: Haben sie schon mit Sachenka gesprochen?

Smechov: Noch nicht, sie meidet mich heute irgendwie.

Gradova: Komisch, ich habe so ein Gefühl, das sie schon alles weiß.

Smechov: Vielleicht spürt sie einfach alles.

Gradova: Wir müssen bis zum Abend warten bis alle weg sind.

(Sachenka kommt dicht an Alexander heran)

Sachenka: Alexander warum sind sie heute so mürrisch?

Smechov: Ich soll mürrisch sein? Nein ich bin glücklich.

Sachenka: Was ist denn Glück, ihrer Meinung nach?

Smechov: Wenn es dem Herzen so gut geht, das es gar nicht besser sein könnte, ich weiß nicht.

Sachenka: So gut ist es Ihnen heute? Dann wollen wir mal sehen was weiter kommt. Und du Mama, bist du glücklich?

Gradova: Glücklich.

Sachenka: Und deine Ehe mit Papa, ist die glücklich?

Gradov: Natürlich wir lieben einander und wir haben dich.

Sachenka: Shenja und sind sie glücklich?

Gradova: Was ist mit dir heute los Sachenka, was ist in dich gefahren, warum fragst du alle aus ob sie glücklich sind?

Sachenka: Na, Mama, weil der Tag heute so hell ist, deshalb will ich die nächtlichen Schatten in der alles verbrennenden Sonne zerstreuen. Shenja Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.

Stolarow: Wenn ich Sie vor mir sehe dann bin ich glücklich.

Sachenka: Und du Ola?

Olga: Na, wenn alle schon glücklich sind, dann bin ich es auch, ich möchte nicht herausragen.

Sachenka: Und du Oma?

Mutter: Ich bin heute unglücklich.

Sachenka: Warum denn?

Mutter:  Weil ich den Grund deines Glücks nicht verstehen kann. Was ist mit dir los?

Sachenka: Ich werde nun meinen Traum erzählen, dann wirst du sofort fröhlich sein.

Gradov: Erzähl uns doch alle deinen Traum!

Kowrowa: Ja wirklich mit allen Einzelheiten. Ich, zum Beispiel, vergesse immer meine Träume, die sind immer so was formloses und undeutliches. So ist es die ganze Nacht und morgens kann ich nichts erzählen.

Mutter: Wie kann ein erwachsenes Mädchen nur seine Träume erzählen? Das ist doch eine Schande und eine Scham!

Sachenka: Warum denn Schande und Scham?

Mutter: Und wenn in diesem Traum etwas Erotisches passiert? Ich als Alte habe trotzdem  auch solche Träume.

Gradov: Mama das ist nun wirklich unerhört.

Mutter: (streng)Schweig Alexej, wenn ich solche Träume nicht hätte, hätte ich dich nicht bekommen. Aber ich bin noch nicht dement, meine Träume verrate ich euch nicht. Gut wäre es noch, wenn ich in diesen Träumen, mit deinem verstorbenen Vater, ein Tête-à-tête hätte. Aber nein, ich habe folgende Fantasien: Verflucht, mal bin ich mit dem einen Alten auf dem Heuboden, mal mit dem anderen Alten und mal mit beiden zusammen.

Gradov: Mama, was erzählen Sie da?

Mutter:  Ich erzähle alles wie es ist, wichtig wäre es aber, wenn die Alten in meinen Träumen jünger wären und ausdauernder.

Gradov: Das ist Blödsinn jetzt, was Sie da erzählen.

Mutter: Das meine ich doch (sie schaut streng und böse auf ihre Enkeltochter) und Sachenka soll ihren Traum deshalb besser auch nicht erzählen.

Sachenka: Beruhige dich, Oma. In meinem Traum geht es um etwas ganz anderes.

Mutter: Ah, du bist dumm, wie ich sehe.

Sachenka: Also mein Traum: (sie schaut ganz lustig auf ihre Mutter)Ich erwachte plötzlich gegen 2 Uhr nachts. Warum ich so genau diese Zeit weiß, kann ich euch nicht erklären, wahrscheinlich zeigten die Zeiger unserer Uhr schon 2, aber sie hatte noch nicht geschlagen. Eine Stunde für Zeitdiebe, gemeine Menschen und Verführer der menschlichen Seele. Ich bin dann hinunter gegangen, habe mich umgeschaut und wollte wieder schlafen gehen. So ein Traum, plötzlich höre ich, wie jemand die Treppe heruntersteigt. Wer könnte das sein, was denkt ihr?

Stolarow: Vielleicht ich? Sie wissen doch, ich folge ihnen immer.

Sachenka: (Stolarow abwimmelnd) Ja, Shenja, Sie waren auch in meinen Traum, aber nicht in der Hauptrolle. Es gab noch einen Menschen, der mich nicht gesehen hat. Er lief nervös im Zimmer herum, bis noch jemand zu ihm kam. (sie schaut auf die Gäste) Na, interessant?

Mutter: Überhaupt nicht, für mich als alte Frau ist es überhaupt nicht interessant, obwohl ich mich immer noch nach den Männern überhaupt nicht platonisch sehne.

Gradov: (mit unverhülltem Interesse) Und was kommt weiter?

Sachenka: (sie schaut aufmerksam auf ihre Mutter)Weiter …ich weiß nicht mehr.

Kowrow: Spuckt auf den Boden) Verdammt, diese Frauen können nicht einmal ihre Träume nacherzählen aber fordern für sich die Aufmerksamkeit des ganzen Weltalls.

Kowrowa: Was spuckst du hier herum, du bist du nicht zu Hause. (Soja kommt auf Alexej zu)

Gradova: Alexej, ich muss mit dir ernsthaft reden.

Gradov: (lustig) Wie jetzt sofort?

Gradova: (kühl) Sofort!

Gradov: (will sie an die Hand nehmen aber sie wimmelt es ab)Ja gut, komm gehen wir. Das Frauen immer mit Geheimnissen umhüllt sein müssen.

(die Beiden verlassen das Zimmer)

 

 

20

 

(Dieselben)

Olga: Was ist weiter in deinem Traum passiert, hast du das vergessen?

Sachenka: Vergessen, ich habe Angst jetzt ins Phantastische abzugleiten.

Olga: Aber ich kann mich daran erinnern.

Sachenka: (unruhig) Woran kannst du dich erinnern?

Olga: Dir könnte man beim Laufen die Schuhe besohlen, ich habe auf dich heute Nacht gewartet und gewartet, bis ich selbst die Treppe heruntergestiegen bin. Dann habe ich dich schlafend auf dem Sofa gesehen. Ich habe dir dann ein Kissen gebracht und dich mit einer Decke zugedeckt.

Sachenka: Ich danke dir, Ola.

Smechov: Sachenka, ich muss etwas ganz Wichtiges mit ihnen besprechen!

Sachenka: Nennen sie mich nicht so! So nennt mich nur meine Familie und sie sind für mich ein Niemand. (Smechov geht ein wenig auf Abstand zu ihr und kehrt dann zu ihr zurück.)

Smechov: Sascha…

Sachenka: Ich bin für Sie auch keine Sascha.

Smechov: Schura …

Sachenka: Sie vergessen sich, ich heiße Alexandra Alexejewna Gradova.

Olga: Was ist heute in dich gefahren? Mal quatschst du übers Glück, mal greifst du grundlos die Menschen an.

Sachenka: Mein Traum hat mich so beeinflusst heute, ich kann mich nicht von dem schweren Gewicht dieses Traumes befreien. Ich dachte mir zunächst, der Traum sei hell und gütig und jetzt sehe ich klar, das war ein schmutziger wollüstiger Traum.

 

21

 

 

(Gradov kommt ins Esszimmer  gerannt und schreit etwas Unartikuliertes. Stolarow ist aber auf der Hut und verhindert das Smechov in die Hände von Gradov fällt.)

Gradov: Ich bringe dich um, du mieser Widerling, du Stück Aas, wie konntest du nur bloß? Ich habe dich wie einen Menschen in das Haus eingeladen, ich habe dich bei mir aufgenommen. (Seine Wut dämpft sich langsam und er setzt sich müde auf den Stuhl.) Wie konntest du das nur tun, wieso hast du die Seele mit deinen dreckigen Pfoten angefasst, wer gab dir dieses Anrecht?

Smechov: Was soll ich denn machen, wenn ich Soja liebe? Ich kann doch meinem Herz nicht befehlen. Mein Herz gebietet über mich, mein Herz liebt sie.

Gradov: Liebt …warum bist du denn nicht selbst zu mir gekommen, warum hast du sie geschickt?

Smechov: Soja wollte selbst mit Ihnen reden.

Gradov: Warum bist du nicht viel früher zu mir gekommen.

Smechov: (Schulter zuckend) Ich verstehe nicht, wann früher?

Gradov: Als in deinem Kopf dieser faule Gedanke kam, warum bist du nicht vorher gekommen? Ich hätte dir schon was erzählt (Die Gäste wollen gehen, aber Gradov lässt nicht zu, das sie gehen.) Bleibt sitzen, was soll das! Der Tag heute ist wirklich ungewöhnlich.

Smechov: Bevor ich mit ihnen sprechen konnte, sollte ich mir doch über die Gefühle von Soja zu mir vergewissern.

Gradov: (hasserfüllt) Geh weg!

Smechov: Ohne Soja gehe ich nicht weg!

Gradov: Sie will nicht mit dir zusammen weggehen.

Smechov: (laut) Ich glaube Ihnen das nicht.

Gradov: Wieso sollte ich dich anlügen? Sie liebt mich nicht, das wissen doch ohnehin alle. Aber auch mit dir wird sie nicht gehen. So sind wir quitt, geh weg, um Gottes Willen, bitte ich dich.

Smechov: Ich rühre mich nicht eher vom Fleck, bis ich sie gesehen habe.

 

 

22

 

 

(Dieselben und Gradova)

Smechov: Was ist los mit dir? (Gradova schweigt) Stimmt es denn? Hast du es dir anders überlegt?

Gradova: Ja, verzeihe mir.

Smechov: Aber wie denn? Das bist nicht du, die das sagt. Was hat dir dein Mann gesagt, das du so einfach unseren Traum verrätst. Du hast einfach vergessen, was auf uns wartet, die Weiten und Breiten, die Treffen, das Lächeln, die Träume, gute Taten, deine Blumen, welche auf der ganzen Erde blühen werden. Wir sind unsterblich, solange unsere Gefühle leben. Breite deine Flügel aus Soja und wir fliegen weg, wir fliegen zu den Sternen.

Gradova: Nein, Alexander, ich habe keine Kraft um zu fliegen. Fliege du für mich und erzähle dort: Es gab auf der Erde eine schwache Frau, die deiner nicht würdig ist.

Smechov: (geht wie betrunken herum) Na wie denn, vielleicht gibt es doch noch Hoffnung?

Gradova: Es gibt KEINE Hoffnung mehr!

Smechov: (er kommt wieder auf Gradova zu und versucht sie zu erreichen) Soja, Soja …

Gradov: (schreit Smechov an und stellt sich zwischen den beiden) Raus du Gottesnarr!

(Wütend ohrfeigt Gradov Smechov, Smechov schaut hinterhältig auf alle Anwesenden, ob ihre Gesichter diese offene Beleidigung widerspiegeln. Gradov versucht ein weiteres Mal ihn zu ohrfeigen, Smechov fängt seine Hand ab und biegt sie mit Gewalt weg.)

Smechov: Schluss, Alexej Petrowitsch, geben Sie sich keine Mühe. Gott weiß, ich wäre selbst gegangen. Hätten Sie statt mit Zorn mich mit Barmherzigkeit behandelt und noch ein wenig abgewartet,  wäre ich von selbst gegangen und sie haben mir den Gottesnarren ins Gesicht geschlagen. Das ist nicht gut, das ist nicht christlich. Ihre böse Tat war klein, aber jetzt haben sie das Böse erweckt und dieses Böse ist viel größer als das Ihrige. Warum haben sie das getan?

Gradov: Ich werde dich jetzt wie einen räudigen Hund  aus meinem Haus raus schmeißen und dann werde ich dich noch auspeitschen, damit du deinen Platz kennst und ihn nicht  wieder vergisst.

Smechov: Sie reden zu viel. Ihr Haus meinen sie …na gut, werden wir mal sehen. In der Anwesenheit von Zeugen schwöre ich, dass ich die Schwelle Ihres Hauses nie mehr betreten werde, bis Sie mich selbst darum bitten.

Gradov: Nie wird das sein.

Smechov: In diesem Leben kann man nie nie sagen. Das habe ich grade erst verstanden. Ich werde mein ganzes Leben meinen Schwur und mein Wort einhalten.

Gradov: Raus hier!

Smechov: Auf baldiges Wiedersehen, Alexej Petrowitsch.

(Smechov geht weg, durchdringende Stille, man sieht nur wie Sachenka Soja Veniaminovna um Verzeihung bittet, sie küsst sie und weint.)

Mutter: Bei Gott er wird zurückkommen und seine Ankunft wird grausam sein.

 

 

(Der Vorhang fällt. Ende der 1. Handlung)

 

 

 

 

 

 

2. Handlung

 

 

6 Jahre sind vergangen.

(Im Hintergrund sehen wir jetzt ein zweistöckiges Turmholzhaus mit Veranda. Im kleinen Garten stehen ein paar Bäume und Bänke.)

 

 

1

 

 

(Mutter und Sachenka)

Mutter: (tief einatmend)Deine besten Tage gehen vorbei, mein Täubchen. Worauf wartest du denn, was suchst du?! Deine Jugend ist schon fast vorüber und du hast noch nichts ausprobiert. Du tust mir so leid, Sachenka. Es zerreißt  mein Herz wenn ich dich so anschaue.

Sachenka: Was kann ich machen Oma, das ist mein Schicksal. Ich bleibe für immer bei  dir, Papa und Mama und wir leben so wie es schon immer war.

Mutter: Was ist das für ein Leben für dich, warum bestrafst du dich selbst? Denke nicht daran, vertreibe solche Gedanken. Ich bin schon sehr alt und träume davon die Urenkel auf meinen Armen zu wiegen, ich will diese Honiggeschöpfe doch küssen, ich will sie verwöhnen. Und du …

Sachenka: Sei mir nicht böse. Was kann ich machen? Ich liebe niemanden.

Mutter: Hast du Sehnsucht nach dem?

Sachenka: (verschreckt) Wen meinst du?

Mutter: Ich bin wohl kurzsichtig, dafür umso weitsichtiger. Von weitem sehe ich alles, das sage ich dir.

Sachenka:  Und was siehst du?

Mutter: Alexander sitzt in deinem Kopf und will ihn nicht verlassen.

Sachenka: Hör auf, Oma, meine liebe, geliebte Oma. (sie weint)

Mutter: Willst du einen Ratschlag von mir? Heirate Stolarow. Spring über deinen Schatten und heirate ihn. Es kommt auch mit der Zeit Liebe. Man kann Stolarow  schon dafür achten, das er all diese Jahre die Liebe zu dir behalten hat. Er vergisst dich nicht und kümmert sich um dich wie eine Glucke um ihre Küken sich kümmert. Er liest dir jeden Wunsch von den Lippen ab.

Sachenka: Ich werde ihn heute sagen, er soll uns nicht mehr besuchen.

Mutter: Verflixt noch mal, alles prallt von dir ab, wie Erbsen von der Wand. Du bist deiner Mutter so ähnlich, aber sie tut wenigstens so, als wäre sie mit mir einverstanden um dann doch ihr eigenes zu machen.

Sachenka: Mama ist auch unglücklich und an Allem bin ich schuld.

Mutter: Du bist dumm, das will ich dir sagen. Deine Mutter hat einen Kopf auf den Schultern. Sie lebt nicht mit dem Herzen sondern mit dem Gehirn. Meinst du wirklich, dass ich nicht wusste, als deine Mutter noch eine Braut war, dass sie deinen Vater gar nicht liebte? Ich habe alles gewusst. Aber sie hat Alexej geachtet, sie hat so geliebt wie sie es konnte und die beiden haben mir dich geschenkt, zu meinem Verderben. (sie weint) Soja, in 1. Linie ist sie Mutter,  dann erst Ehefrau. Sie erfüllt ihre wichtigste Pflicht auf Erden. Wenn du einst ein Kind gebärst, wirst du noch an meine Worte denken, aber dann ist es zu spät.

Sachenka: Warum?

Mutter: Saschka sei nicht blöd, wenn ich in den Himmel komme, dann wirst du es wissen. Vielleicht schon übermorgen, man wartet schon mit Ungeduld im Himmel auf mich. Enkelin,  du kennst meinen ernsthaften Charakter, was ich sage, das tue ich auch. Du wirst mir dann eine Kerze in die Hände legen. Die Alten aus der Kirche sollen mich waschen und du musst ihnen die Kleider geben, die in meiner Truhe sind. Aber pass auf, dass man nichts Wertvolles vergisst. Man soll mir ein rotes Kopftuch mit Blumenmuster auf den Kopf binden. Diese von der Kirche haben keine Hand dafür. Du aber bist ein hochmodisches Mädchen und musst aufpassen wie ich von der Seite aussehe. Ich möchte im Sarg sehr schön aussehen, verführerisch oder wie ihr das zum Ausdruck bringt: sexy!

Sachenka: Oma, was erzählst du da? Schäme dich!

Mutter: Der Pope soll sein Gebet ganz laut lesen, damit auch ich alles mitbekomme. Aber bezahlt ihn nicht so viel. Da ich so schön im Sarg aussehen werde, muss er noch etwas dazu zahlen. Das Geld für den Leichenschmaus gebe freigebig aus, du weißt wo das Geld liegt. Das orthodoxe Volk muss essen und trinken und nur Gutes über Praskovja Nikiforovna sprechen, keine Trauerreden, keine Tränen. Das mag ich alles nicht, ich habe ein Rendezvous mit Gott und nicht mit Irgendjemand.

Sachenka: Dann sterbe ich auch.

Mutter: Ich zeige dir schon – AUCH. Ich habe mein Leben schon gelebt, ich bin 80. Saschka, wie alt bin ich denn? Ich habe das vergessen…

Sachenka: (lustig) Willst du die Wahrheit wissen?

Mutter: Sag schon ich habe keine Angst. Seit 3 Jahrzehnten schaue ich in den Spiegel und erkenne mich nicht wieder. ich denke, wer zieht dort im Spiegel die Fratzen, irgendeine alte Frau? Und diese Alte ist sehr böse und streitsüchtig. Wie alt ist diese Alte? Ich muss doch jünger sein als sie!

Sachenka: Du bist 82.

Mutter: Nie sagst du etwas Gutes zu mir! 82! Ich, soll 82 sein? Du machst Witze mit deinen Berechnungen. Vielleicht bin ich nicht 82 sondern 28? Hast du nichts verwechselt? Wahrscheinlich ist es bei dir noch die alte Zeitrechnung und nicht die Neue.

Sachenka: Selbstverständlich, du bist erst 28! Du bist noch ganz jung.

Mutter: Rede keinen Unsinn und höre lieber zu. Heirate Shenja!

Sachenka: Nein.

Mutter: Ach so, du bist gegen mich gestimmt. Die Endzeit hat also angefangen, drücke auf deine Stoppuhr, weil ich eine sportliche Alte bin. Denn Fußball gucke ich mit deinem Vater im Fernsehen schon viele Jahre zusammen.

Sachenka: Und was? Du hast doch selbst gesagt: Die Fußballer sollen nicht einen Ball hinterher jagen sondern lieber den Frauen hinterherlaufen.

Mutter: Nein ich habe gesagt sie müssen hinter den alten Frauen hinterher laufen. Stör mich bitte nicht bei meinen Gedanken. Lass diese Fußballer in Ruhe. sie sind alle Invaliden. Der Kopf ist bei ihnen krank und alles andere auch. Ich meine jetzt was Anderes. Wenn ein Mensch den Willen zum Sieg hat, dann kann er auch auf dem fremden Spielfeld siegen und auf seinem eigenem  umso mehr. Wenn du dich in 3 Tagen nicht zur Heirat entscheidest, bereite dann, Enkelin, die Tannenbaum- und  Lorbeerkränze vor.

Sachenka: Ich gehe, um mir deine Dummheiten nicht länger anhören zu müssen. (sie steht auf und geht weg)

Mutter: Was für eine feine Dame! (sie ruft  ihr  hinterher) Saschka vergiß die Schuhe nicht. Ich habe noch nie Stöckelschuhe gehabt aber im Sarg möchte ich welche tragen.

Sachenka: Zu dem roten Kopftuch trägt man keine weißen Schuhe.

Mutter: Mir ist es doch egal, ich will es so und Schluss damit. Das rote Kopftuch, das schwarze Kleid mit Dekolleté und weiße Schuhe, hast du das gehört? Vielleicht will ich im Jenseits ein Modehaus eröffnen. Deshalb gehe ich dorthin mit meiner 1. Modekollektion “Von Praskovja Nikiforovna“. Hast du gehört, wie schön das klingt? Sachenka ich habe gehört was du nun gesagt hast! Nicht von Praskovja Kifirovna sondern von  Nikiforovna.

 

 

2

 

(Mutter bleibt alleine. Dann schließen sich ihr Soja und Alexej an. Soja setzt sich neben der Mutter. Die Mutter schält Äpfel um sie einzukochen.)

Gradova: Wieso, Mama? Ich kann das selbst, geben Sie sich nicht soviel Mühe bitte.

Mutter: Ich kann doch selbst Eingemachtes kochen. Du bist doch schon müde vom Kochen des Mittagessens. Setz dich lieber neben mir, sprich mit mir. (Während die Frauen miteinander reden, geht Gradov im Hause herum.)

Gradov: Was für ein wunderschönes Haus, eine Augenweide. Es gibt in der ganzen Welt nur ein einziges solches Haus. (er atmet tief ein) Schade, wenn man Abschied nehmen muss von diesem Haus.

Gradova: (unruhig) Ist es nicht mehr zu ändern, Alexej?

Gradov: Du weißt doch, meine Seele, ich habe alles versucht. Jeden Auftrag habe ich übernommen, sogar jeden nichtigen Auftrag. Aber mal verzichtete der Auftraggeber auf seinen Auftrag, mal hat man mir gar nichts gezahlt, mal ist man abgehauen ohne Bezahlung und manchmal verspricht man mir einen Auftrag zu unterschreiben und zieht das schon 3 Monate in die Länge. Aber wenn Gott hilft, unterschreiben wir diesen Vertrag und dann begleichen wir alle Schulden. Aber sag bitte Sachenka nichts.

Mutter: Nichts werden wir ihr sagen.

Gradov: Ich gab gestern schon eine Annonce in der Zeitung auf.

Gradova: (erschrocken) Wie, eine Annonce?

Gradov: Ja, was  ist daran besonderes, eine Annonce aufzugeben? Ich muss doch die Preise kennen. Wenn ich uns einen Bankkredit hole, dann werden die Zinsen so hoch sein, das wir es bis zum Tod nicht zurückzahlen können.

Gradova: Und wenn ein Käufer kommt? Wie sollen wir das Sachenka erklären?

Gradov: Sagt ihr dann, der Käufer ist nicht Käufer, sondern ein Auftraggeber. Er will einfach genauso ein Haus bauen und will unser Haus als Muster benutzen.

Gradova: Hast du dir das Alles ernsthaft überlegt und dich entschieden?

Gradov: Kein sorge, Sojuschka, alles wird wieder gut. Bald vergessen wir all unser Unglück, das wie eine Schneeflocke im Sommer zu uns kam. (Er betrachtet das Haus.) Wenn man ein Haus vorzeigen will, dann nur im Sommer und wenn man ein Haus verkaufen will, dann nur im Winter.

Mutter: Warum?

Gradov: Na, im Sommer sieht das Haus aus wie ein Honiglebkuchen aus Tula, ganz glänzend und wie mit Zuckerglasur überzogen. Aber bewahre es bis zum Winter auf und der Lebkuchen verliert die Form und wird schwarz. Aber desto besser schmeckt er. Im Winter. brauch der Mensch das Haus, mehr noch als im Sommer. Deshalb kostet es auch im Winter mehr. Ach es ist so schade um dieses Haus, ich weiß doch gar nicht in wessen Hände es fällt?

Gradova: Wenn Gott hilft bleibt alles beim Alten.

Gradov: Habt ihr gesehen was für ein Haus man neben uns aufbaut? Aus Stein , dreistöckig, mit kleinen Türmen und einen großen Turm, mit Säulen und Löwenstatuen am Eingang. Wenn ich so einen Auftrag bekommen hätte, das wäre die Lösung all unserer Probleme.

Mutter: Diese Baustelle stört uns Tag und Nacht, die arbeiten dort 24 Stunden lang. Früher war alles so edel und ruhig, wir haben wie in einem richtigen Dorf gelebt. Jetzt aber heißt es: Prestigevillensiedlung. Na echt, ein Broadway!

Gradova: Mama woher kennen Sie Broadway?

Mutter: Ich gucke mit einem Auge Fernsehen und mit dem anderen höre ich Rundfunk. Was man alles so erzählt, wenn es keine Lügen sind. Ich kann selber Geschichten erzählen, das tue ich meisterhaft. Ich kenne das menschliche Interesse an dem Leid des Nächsten, aus meiner eigenen Erfahrung kenne ich das. Diese MEDIEN, niemand verhöhnt die Menschen mehr als die MEDIEN? Soja, was bedeutet das überhaupt, Medien? Das Wort ist irgendwie kein russisches Wort.

Gradova: Medien ist ein Fremdwort und bedeutet einfach verschiedene Mittel für die Masseninformation.

Mutter: Dann hat der Mensch seinen Namen seinen Vatersnamen und den Nachnamen.

Gradov: Mama, Sie haben alles falsch verstanden.

Mutter: Wie denn? Ich habe alles richtig verstanden, Soja hat mir alles einleuchtend erklärt, übrigens haben wir heute Besuch.

Gradov: Ja, ich habe Kowrows eingeladen.

Mutter: Und Shenja?

Gradov: Shenja kommt sowieso jeden Tag zu uns.

 

 

 

 

3

 

 

(Die Mutter geht hinein ins Haus und sieht dann Shenja, der den Garten betritt.)

Stolarow: Guten Tag.

Gradov: Ja, guten Tag.

Gradova: Ja, ich freue mich auf Sie. (sie küssen sich verwandtschaftlich)

Stolarow:  Ist Praskovja Nikiforovna böse mit mir?

Gradova:  Warum denn böse, Shenja?

Stolarow: Sie hat mich gar nicht begrüßt.

Gradov: Mama sieht in letzter Zeit schlecht, aber sie hat heute schon nach Ihnen gefragt.

Stolarow: Ich glaube das Ihnen.

Gradova: Mama mag Sie sehr.

Stolarow: Ich mag Sie auch sehr und wo ist Sachenka?

Gradov: Sie ist im Haus, kommen sie bitte herein.

Stolarow: Nein, lieber warte ich im Garten.

Gradov: Ich gehe nach oben und sage Sachenka  Bescheid, dass Sie hier sind. (Gradov geht ins Haus.)

 

 

 

 

 

 

 

4

 

 

(Stolarow und Gradova)

Stolarow: Ich kenne Sie nun schon seit vielen Jahren und noch nie waren sie böse mit mir, habe kein schlechtes Wort über mich gehört und keinen zornigen Blick gesehen.

Gradova: Warum sollte ich denn böse mit ihnen sein?

Stolarow: Sie sind eine gute Seele wie auch Sachenka. Sachenka: ist Ihnen sehr ähnlich.

Gradova: Nein, sie kommt nach dem Vater, nach Alexej.

Stolarow: Ich liebe ihre Tochter, Soja Veniaminovna.

Gradova: Ich weiß das, Shenja.

Stolarow:  Ich bin heute gekommen, um Sachenka  einen Heiratsantrag zu machen, aber diesmal ohne Blumen.

Gradova: Es spielt keine Rolle, dass Sie ohne Blumen sind, wir haben ohnehin so viele Blumen im Garten. Machen sie ihren Heiratsantrag heute und hier, ich glaube sie wird ihnen diesmal keine Ablehnung geben.

Stolarow: Glauben Sie?

Gradova: Ja, vielleicht passiert heute genau das, was sie sich wünschen.

 

 

5

 

 

(Sachenka verlässt das Haus. Soja Veniaminovna geht weg, damit die Zwei unter vier Augen sind.)

Stolarow: Ich bin wieder zu Ihnen gekommen.

Sachenka: Das sehe ich, aber wozu denn?

Stolarow: Ich weiß, warum ich immer wieder in dieses Haus komme und sie wissen das auch. Ich hoffe immer noch, dass Sie irgendwann, was anderes für mich empfinden, als jetzt. Wenn Sie zum Beispiel mich heiraten würden, wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt.

Sachenka: Der wievielte Heiratsantrag ist das nun schon?

Stolarow:  Ich zähle meine Heiratsanträge nicht, nur ihre Absagen. Das sind solche rote Zahlen, das ich der bankrotteste Mensch auf Erden bin. Ich bin ein nicht beneidenswerter Bräutigam.

Sachenka: Was soll ich nur mit Ihnen tun? Mir fällt nichts ein, ich muss mir das überlegen. Meine Oma redet jeden Tag von Ihnen, sie jammert mir die Ohren voll:„Heirate Stolarow, sonst wirst du dir in den Ellenbogen beißen.“ Ich kann ihren Gerede gar nicht mehr entkommen. Und, werden sie mich nicht schlecht behandeln wenn wir verheiratet sind?

Stolarow: Ich Sie? Ich werde sie anhimmeln.

Sachenka: Nun gut, dann holen Sie Oma. Wie sie es sagt, so werde ich es machen.

Stolarow: Ich bringe sofort Praskovja Nikiforovna hierher, rühren sie sich nicht vom Fleck. Bewegen sie sich nicht, meine Sachenka! (Er rennt ins Haus.)

 

 

6

 

 

(Sachenka steht alleine vor dem Haus, plötzlich betreten einige Männer den Garten. Drei Leibwächter bilden einen Keil um eine Person. Wahrscheinlich beschützen sie eine sehr wichtige Person. Dann teilen sie sich und der Unbekannte fängt an zu reden.

Der Mann: (trocken)Guten Tag, ist dies Haus Nummer 18?

Sachenka: Ja, sie wünschen?

Der Mann: Ich wünsche das Haus so schnell wie möglich zu besichtigen, meine Zeit ist sehr knapp.

Sachenka: Unser Haus? Zu welchen Zweck denn?

Der Mann: Komische Fragen stellen sie. Wenn sie das Haus verkaufen wollen, sollte man es sich doch vorher anschauen können, ist doch logisch oder?

Sachenka: Das ist ein Missverständnis, wir verkaufen das Haus nicht.

Der Mann: Wie denn, sie verkaufen das Haus nicht? Hier ist die Zeitung und es steht dort schwarz auf weiß geschrieben: Ein zweistöckiges Holzhaus in der Villensiedlung „Lugovoe“. Die Adresse lautet: Kornblumenstr.18. oder bin ich hier verkehrt?

Sachenka: Die Adresse ist schon richtig. (Sie liest die Zeitung.)Ich werde jetzt Papa holen und dann klärt sich die Sache.

Der Mann: (schaut auf die Uhr) Aber bitte beeilen sie sich.

 

 

7

 

 

(Sachenka will ins Haus, aber sie trifft auf der Außentreppe den glücklichen Shenja, der die Hände von Praskovja Nikiforovna küsst)

Stolarow: Sachenka, die Oma hat nichts gegen unsere Heirat.

Sachenka: Warten sie mal Shenja, ich habe jetzt keine Zeit für Sie. (Sie geht ins Haus.)

 

 

8

 

 

(Shenja und Praskovja Nikiforovna begrüßen den unbekannten Mann, der mit kaltem Interesse das Haus sich anschaut. Der glückliche Shenja fängt an, das Haus malerisch zu loben.

Stolarow: Ach was für ein Haus! Ihnen gefällt das Haus doch auch, ja? Es kann Ihnen nicht nicht gefallen. Aber wenn sie wüssten, welche Menschen in diesem Haus wohnen!

Der Mann: (mit  kaltem Vorwurf) Wozu erzählen Sie mir das Alles? Mich interessiert die Vergangenheit dieses Hauses nicht, außer wenn die Besitzer bekannte Persönlichkeiten sind. Dann hat das Haus einen Stammbaum.

Stolarow: Nein, einen reichen Stammbaum hat das Haus nicht.

Der Mann: Schade! Wer sind Sie eigentlich, der Hauseigentümer?

Stolarow: Nein ich bin nur ein Gast. Denken sie bitte nicht schlecht von mir, ich bin im Nu vor lauter Glück dumm geworden.

Mutter: (durchdringend den fremden Mann betrachtend) Der Herodes ist gekommen.

Stolarow: (mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht) Wer ist gekommen? Ich versteh das nicht.

Mutter: (bekreuzigt sich) Er ist gekommen, um uns zu Grunde zu richten.

Stolarow:  Wer ist denn gekommen, wer ist das?

Der Mann: Zum 1. Mal treffe ich hier Leute, die so unadäquat auf einen möglichen Käufer reagieren. Wie lange soll ich noch warten?

(Die Mutter ist zurückgewichen und geht ins Haus. Am Eingang begegnet sie Soja, Alexej und Sachenka)

Sachenka: Papa dieser Mann behauptet, das du unser Haus verkaufst, sag ihm doch es ist ein Missverständnis.

Gradov: (leise) Sachenka, dieser Mensch ist mein Auftraggeber. Er will sich unser Haus anschauen, weil er genauso ein Haus aufbauen möchte. Nur deshalb ist er zu uns gekommen.

Sachenka: (atmet erleichtert aus) Nun gut, lass ihn sich unser Haus anschauen, aber nicht mein Zimmer.

Gradov: Gut, gut. Bitte, kommen Sie herein. (Er bringt den Käufer ins Haus.)

 

(Einige Minuten sind vergangen. Sachenka läuft nervös herum.)

Stolarow: Sachenka, die Oma ist einverstanden mit unserer Heirat.

Sachenka: Nicht jetzt, Shenja. Ich kann nur an unser Haus denken, noch ein bisschen und ich gehe und jage diesen Fremden weg. (Pause)

(Sachenka steht mit dem Rücken zum Eingang und sieht nicht, das die beiden Männer das Haus verlassen haben.)

Der Mann: (sich an Sachenka wendend) Warum wollen sie mich aus dem Haus verjagen? Ich bin gekommen, dieses Haus zu kaufen und nicht zu stehlen. (Der Fremde hält die Katze auf dem Arm) Ein schöner Kater.

Stolarow: (mit gütiger Stimme) Es ist eine Katze.

Sachenka: Komisch, das sie bei Ihnen auf dem Arm sitzt, unsere Marusja hat einen ganz schlechten Charakter.

Der Mann: Warum wollten Sie mich nun aus dem Haus verjagen?

Sachenka: Oh, Verzeihung, aber warum soll man sich das Haus anschauen, welches gar nicht verkauft wird? Das ergibt keinen Sinn.

Der Mann: (sich an Gradov wendend) Verkauft man das Haus nun oder nicht, warum verwirren sie mich?

Sachenka: Das Haus steht nicht zum Verkauf! Papa komm mal, warum schweigst du? (Pause)

Gradov: Sachenka, es kann passieren, das wir gezwungen werden, unser Haus zu verkaufen aber wir werden ein neues Haus aufbauen und ein besseres.

Sachenka: Ich brauche kein neues Haus, verstehst du das denn nicht? Ich bin in diesem Haus groß geworden, das Haus ist ein Teil meines Lebens, genauso wie du, Mama und Oma.

Gradov: Aber vielleicht gefällt dem Käufer unser Haus gar nicht. Warum quälst du dich schon vorzeitig?

Der Mann: Warum denn nicht? Ein nettes Haus, aber alt und nicht modern. Ich würde es kaufen aber nur wegen des Grundstückes.

Gradov: Na siehst du, Tochter, niemand brauch unser Haus, außer uns selbst.

Der Mann: Ich kaufe Ihr Haus.

(Es herrscht Totenstille.)

Gradov: Was haben Sie gesagt?

Der Mann: Ich erwerbe ihre Behausung. Den Vertrag können wir sofort zusammen aufsetzen, mein Notar sitzt im Auto. Also, wir holen jetzt den Notar und unser Geschäft ist dann vorschriftsmäßig geregelt. (eine Pause)

Gradov: Wie, sie kaufen das Haus und gleich jetzt?

Der Mann: Warum sollen wir die Sache in die Länge ziehen. sie verkaufen, ich kaufe, was kann einfacher sein?

 

 

 

 

 

 

10

 

 

(Dieselben und die Eheleute Kowrow)

Kowrow: (lustig)Was ist das für ein Handel hier, ist es eine Täuschung oder ein Spiel? Ich kann auch an diesem Spiel teilnehmen, rechnet immer mit mir.

Der Mann: (nickt in die Richtung von Kowrow) Ist das noch ein Käufer? Dann sagen sie ihm das Haus ist schon verkauft.

(Die Gäste gehen bedrückt ins Haus)

 

 

11

 

(Dieselben)

Gradova:  Ach wie ungünstig das alles ist, wie unbequem.

Sachenka: Dann ist das mit dem Haus wahr und niemand hat mich hinzugezogen? Zähle ich denn hier gar nichts?

Gradov: Wir wollten dich nur nicht verletzen.

Der Mann: (sich an Sachenka wendend) Haben Sie nichts vom Verkauf des Hauses gewusst? Das ist sehr traurig, dass ich Ihnen nun ein Trauma zugefügt habe. Ich habe nicht angenommen, dass nicht alle Bewohner des Hauses über den Verkauf Bescheid wissen.

Gradov: (sich an Sachenka wendend) Verzeih mir, ich bin ein alter Esel. Ich alleine bin an allem schuld Sachenka.

Sachenka: Woran bist du schuld Papa?

Gradov: Ich bin zu einem nichtigen Unternehmer geworden. Nur ich bin daran schuld, dass heute das Haus verkauft wird.

Sachenka: Na, vielleicht kann man alles noch wieder gut machen? Ich werde arbeiten gehen.

Der Mann: (ungeduldig) Wissen sie, ich will hier nicht Zeuge eines Familiendramas sein und ich bin auch noch unwillkürlich der Grund dieses Dramas. Das betrübt mich, ich beende das jetzt hier. Wenn Sie das Haus nicht verkaufen wollen, brauchen Sie das nicht. Ich werde niemanden dazu zwingen, für einen Käufer sind mittlerweile fünf Verkäufer auf dem Immobilienmarkt. Die Preise sind sehr gefallen und fallen noch weiter, das heißt, in einem anderen Haus wird man sich auf mich freuen, leben sie wohl!

Gradov: Halt, ich verkaufe das Haus!

Sachenka: Papa, wie kannst du das nur.

Gradov: Nein, ich verkaufe das Haus doch nicht, ich habe es mir nun anders überlegt.

Gradova: Wir verkaufen unser Haus!

Der Mann: Vielleicht lassen Sie sich noch etwas Zeit?

Gradova: (kompromisslos) Wir verkaufen unser Haus.

Der Mann: (schaut Sachenka an) Ich bräuchte das Einverständnis aller Hauseigentümer, verstehen sie mich bitte nicht falsch.

Sachenka: Gut, ich bin einverstanden.

Gradov: (unglücklich) Ich verkaufe das Haus, ich verkaufe, ich verkaufe.

 

 

12

 

 

(Der Mann befiehlt  einem der Leibwächter den Notar zu holen, danach unterschreibt man auf der Veranda alle Papiere zum Kaufvertrag)

Sachenka: (sich an die Eltern wendend) ist es nun nicht mehr unser Haus? (sie schweigen) Ich kann das gar nicht glauben, mein Haus ist nicht mehr mein Haus?!

Der Mann: (mit einen Raubtierlächeln im Gesicht) Nein, das ist nun nicht mehr Ihr Haus, das ist mein und nur mein …. sehr geehrte Alexandra Alexejewna.

Sachenka: Kennen Sie mich?

Smechov: Ich kenne sie genauso, wie Sie mich kennen. Wahrscheinlich habe ich mich sehr stark verändert. Gestatten Sie mir mich vorzustellen: Smechov, Alexander Danilowitsch.

Sachenka: (schreit auf) Alexander!

Smechov: Ja, in eigener Person.

Sachenka: (ihn nicht wieder erkennend) Sind Sie das?

Smechov: Ich.

Gradov: (unartikuliert wiederholt er dasselbe Wort) Gottesnarr, Gottesnarr!

Stolarow: Satan

Smechov: (lächelnd) Na, endlich erinnern sich alle an mich. Niemand hat mich vergessen. Es war mir ein wenig peinlich, das Sie mich nicht wiedererkannt haben. Erst als ich meinen Namen nannte, dann ja. Aber ihre Mutter, Alexej Petrowitsch, sie hat mich sofort wiedererkannt. Und die Katze, sie sprang sofort zu mir auf den Arm. Sie weiß noch, wie ich sie liebkost habe, aber ein Tier ist kein Mensch. Nur das Tier vergisst das Böse und alte Beleidigungen. Warum schweigen Sie alle, sind Sie nicht froh mich wiederzusehen?!

Gradov: (hasserfüllt) Wozu sind Sie gekommen?

Smechov: (mit gütiger Stimme) Sie haben mich eingeladen, dann bin ich gekommen.

Gradov: Ich habe Sie nicht eingeladen.

Smechov: Wie denn, nicht eingeladen? Es steht in der Zeitung schwarz auf weiß, dass Ihr Haus zum Verkauf steht. Und wie kann man ein Haus kaufen ohne vorheriges Einverständnis des Eigentümers und ohne Besichtigung. Sie verstehen doch sicher, dass das Unsinn ist. Niemand kauft die Katze im Sack! Lassen wir das, Sie haben mich, in Anwesenheit aller Zeugen eingeladen das Haus zu besichtigen, aber egal, das sind alles nur Lappalien. Ich habe heute ein paar Mal versucht auf den Kauf dieser Ruine zu verzichten. Aber jetzt haben wir alles in einem Kaufvertrag fixiert. Es ist notariell beglaubigt und es steht geschrieben dass Sie mich selbst gebeten haben, das Haus zunächst zu besichtigen und dann zu kaufen. (eine Pause) Sie glauben gar nicht, wie froh ich war, als ich gestern ihre Annonce in der Zeitung las. Ich kann meinen inneren Zustand dabei nicht mit eigenen Worten fassen. In meiner Brust ist ein Freudenfeuer entflammt, sechs Jahre lang habe ich auf diesen Moment gewartet. Hätte ich noch ein paar Tage abgewartet, hätte ich das Haus noch viel billiger bekommen, aber keine Minute konnte ich mehr abwarten, ich wollte meinen Triumph nicht verzögern. Ich sage Ihnen ehrlich, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, habe mir die ganze Zeit überlegt, wie ich die ganze Sache effektvoll und gemein ausführen könnte. Und ich habe es sogar besser als erhofft geschafft!

Sachenka: Sind Sie -  wirklich Sie?

Smechov: Alexandra Alexejewna, ich versuche Ihnen nun schon eine geschlagene Stunde zu erklären, das ich ich bin und sie hören nicht zu. Ich bin Alexander, der Gottesnarr, der Satan. Alle nennen mich hier anders.

Sachenka: Aber er war doch anders, ich weiß das genau.

Smechov: Das sind alles leere Reden. Ich habe früher so wie Sie im Himmel gelebt und habe gar nicht herunter auf die Erde geschaut. Aber jetzt ist alles anders,  jetzt schaue ich nur auf die Erde und überlege mir, wie ich, ein, von jemandem verlorenes Fünfkopekenstück greifen und in meine eigene Tasche stecken kann. So entsteht halt das 1. Kapital, Alexandra Alexejewna.

Stolarow:  Niemand wird mit Fünfkopekenstücken reich.

Smechov: Richtig, aber ein Fünfkopekenstück ist erst der Anfang und jeder Anfang ist schwer.

Stolarow: Nun. erzählen Sie weiter.

Smechov:  Ist es interessant? Aber alles war so einfach, ich kann Ihnen jetzt dreizehn verteufelte Verfahren aufzählen, wie man ganz schnell reich wird. Das Hauptprinzip ist immer gleich, zum Beispiel, ein Unglücklicher sammelt um sich herum genau solche armen Schweine, wie er selbst und siehe da - ein paar Monate später wird es auf der Erde einen Unglücklichen weniger geben.

Stolarow: Wie denn?

Smechov: Glauben Sie mir, mit dem Unglück Anderer kann man sehr gut Geld verdienen. Man kann doch nicht allen helfen, was für einen Sinn macht es also, zu einem Menschen barmherzig zu sein, wenn er ohnehin verloren ist.

Stolarow: Wie bitte??

Smechov: Sind sie komisch. Na gut, nehmen wir an, Sie wollen mit den Unglücklichen nicht zusammenarbeiten. Niemand zwingt sie dazu, dann sammeln Sie um sich herum eben die Dummköpfe und Sie werden der Klügste sein.

Gradova: Sie spielen darauf an, dass Sie alle Menschen betrügen können?

Smechov: Ich spiele auf nichts an, Soja Veniaminovna, ich sage direkt, wie man heutzutage viel Kapital machen kann. Nur  mit Betrug und Diebstahl kommt man an das große Geld.

Gradov: Und Sie persönlich, wie sind Sie reich geworden?

Smechov: Ich, Alexej Petrowitsch, habe um mich herum die Gottesnarren gesammelt und bin dann zum freiesten Menschen der Welt geworden.  Also das Geld ist die geprägte Freiheit, die echte Unabhängigkeit von allem. Die Gottesnarren wissen sehr viel, sie verstehen viel und sie fühlen sehr viel. Ich habe mir alle diese Eigenschaften von denen geschnappt und dann kämpfte jeder für sich allein. Es ist alles so einfach, wie das Einmaleins.

Gradova: Wie die Zeit die Menschen verändert! Als wenn nicht die alten, wohlbekannten Menschen vor einem stehen, sondern nur die armseligen Schatten von ihnen.

Smechov:  (lachend) um Gottes Willen, liebe Soja Veniaminovna, sehe ich wie ein Schatten aus? Der Schatten kann nicht reden und der Schatten kann kein Hauseigentümer sein. Das ist Unsinn, fragen Sie einen beliebigen Juristen und er wird Ihnen sagen, der Schatten ist unzurechnungsfähig und kann nicht zum Subjekt bürgerlichen Rechts werden.

Stolarow: (sich an Gradov wendend) Sie müssen den Verkauf rückgängig machen.

Gradov: Ja, ja, ja, der Kaufvertrag ist nicht mehr gültig, das Haus steht nicht zum Verkauf.

Smechov: Das ist Ihre Entscheidung, heute steht das Haus nicht zum Verkauf, morgen dann wird das Haus versteigert.

 

 

13

 

 

(Man hört den Lärm auf der Baustelle nebenan. Alle Gäste stehen jetzt auf der Veranda, sie wollen nicht ungebetene Zeugen sein.)

Stolarow: Ich habe meine Ersparnisse. Bitte nehmen Sie alles.

Kowrow: Ich helfe dir auch, Alexej. Wenn wir uns alle zusammentun, können wir den Verkauf deines Hauses abwenden.

Gradov: (beinahe weinend) Danke.

Smechov: Oh, das sind alles alte Bekannte. Ihr seid so viele und ich bin immer noch alleine, also ist das jetzt eine Verschwörung gegen mich, ja? Gute Menschen haben sich gegen das Böse vereinigt. Das Böse ist besiegt, hahaha. (er lacht laut und verstellt.)

 

(Der Lärm auf der Baustelle wird einfach unerträglich.)

Gradov: Was hat der Gottesnarr gerade gesagt?

Smechov: Wie ertragen Sie das hier, man kann ja nicht mal seine eigene Stimme hören? Es ist höchste Zeit, die Menschen zu zwingen,  Sie zu achten. Man muss diese Baustelle stoppen, wenigstens für ein paar Stunden bis die Sache hier geklärt ist.

Gradov: Es ist ausgeschlossen, niemand kann die Baustelle stoppen. Jeder hat das Recht auf seinem eigenen Grundstück das zu machen, was er will.

Smechov: Sie behaupten, es sei ausgeschlossen? Na, ich versuche das mal. (er macht einem der Leibwächter eine Geste, dass sie die Arbeiter stoppen. Einige Minuten später herrscht Totenstille.)

 

Stolarow: Satan, ich werde sie umbringen!

Smechov: Warum wollen Sie mir das Leben nehmen, was habe ich denn getan? Aber mich zu töten ist nicht einfach, meine Leibwächter werden sie im Nu zusammenfalten. Aber das habe ich einfach so gesagt, ich mag keine leeren Drohungen.

Stolarow: Sie glauben, Ihnen ist alles erlaubt und möglich, ja?

Smechov: Noch nicht alles, aber vieles. Was glauben sie, warum hörten die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück plötzlich auf, weil mein Leibwächter gekommen ist und diese 50 Menschen eine animalische Angst vor ihm bekommen haben? Nein, das ist schwer zu glauben, die haben keine Angst vor ihm, alles ist viel einfacher. Ich bin der Eigentümer von diesem Haus auf dem Nachbargrundstück und man baut dieses Haus direkt hier, hinter dem Zaun. Links von diesem Haus hier ist auch mein Grundstück und hinter dem Haus auch meins. Das Alles ist mein persönlicher Besitz. Sie alle  sind längst von mir belagert und sie haben das gar nicht bemerkt. Na gut, ich bin selig, ich verstehe von praktischen Dingen gar nichts. (eine Pause) Sechs Jahre meines Lebens habe ich dafür gewidmet, um Ihnen zu beweisen, dass ich etwas wert bin und dass mein Wort Gesetz ist. Sechs  Jahre von Erniedrigung und Leiden, Hass und Ärger und alles nur, damit ich mal in dieses Haus kommen  und es abkaufen kann.

Stolarow: Verzichten Sie auf diese Haus. Ich bitte Sie darum, von Mensch zu Mensch!

Smechov: Niemals! Haben sie das gehört, niemals. Wie ist es mit Ihrem Guten, das dem Bösen gegenübersteht bis zum Ende der Zeit. Na, wer will dem Alexej Petrowitsch Gradov noch helfen?

Stolarow: Ich.

Kowrow: Wir.

Smechov: Also habt ihr euch das nicht anders überlegt, das ist lobenswert. Ich mag Glücksspieler, die am grünen Spieltisch des Glückes bluffen, und grün wird dann zu blutrot. Aber bevor sie mit mir spielen, möchte ich sie gerne mit meinen Spielregeln vertraut machen. Zum Beispiel Sie, Alexej Petrowitsch, Sie haben behauptet, dass Sie Schuld tragen an der heutigen Situation, aber Sie haben sich sehr geirrt, das war ich. Ich bin der Hauptgrund ihres Unglückes, ich und nur ich. Ich habe alles mögliche unternommen, um Sie zu ruinieren, ich habe Ihnen die Auftraggeber geschickt, die dann für die erfüllte Arbeit nicht bezahlt haben, alle guten Aufträge habe ich Ihnen weggeschnappt, jeden Tag im Laufe von 6 Jahren störte ich Sie bei Ihrer Arbeit. Ich habe mein Leben diesem zerstörerischen Prozess gewidmet, ich bin ein gesunder und starker Mensch und meine ganze unbezähmbare Energie habe ich gegen Sie gerichtet. Nur um noch einmal in dieses Haus kommen zu können. Aber ich brauchte nicht nur Ihr Haus, die wichtigste Bedingung war, dass Sie mich selbst in Ihr Haus einladen sollten, und das habe ich geschafft. (Jetzt redet er alle an.) Wer möchte sich mit mir messen, wen soll ich noch das Rückgrat brechen, auf wen soll ich noch drauf treten? Ich bin bereit, es ist mir alles egal.

Stolarow: Sie sind absolut das Böse, das unvermeidlich bestraft werden wird.

Sachenka: (Sie hat ihre Todesstarre jetzt überwunden und versucht  nun diesen Menschen in Schutz zu nehmen) Er ist nicht böse, er ist nur ermüdet. Der, welchen wir jetzt sehen, ist nicht er. Wieso versteht ihr das nicht?  Man braucht ihn nicht zu erniedrigen, er ist schon seit langem durch uns gekränkt und benachteiligt, wozu bringt ihr ihm neues Leid? Er wird das nicht überleben! Kommen Sie alle mit ins Haus, lassen sie Alexander hier im Garten sitzen, er hat solange auf diesen Moment gewartet.

(Alle sind mit den Worten von Sachenka einverstanden. Aber Smechov versperrt allen den Weg  ins Haus und stellt sich wie ein Steinblock vor allen.)

Smechov: (schreit sie an) Wohin, in mein Haus? Ich lasse niemanden rein, nur über meine Leiche.

Notar: Aber nach dem Gesetz steht doch den ehemaligen Eigentümern das Recht zu, im Laufe von 2 Wochen, das Haus zu räumen. Ihre Handlung ist gesetzwidrig.

Smechov: Zum Teufel mit solchen Gesetzen, ich bin hier das Gesetz!

Kowrowa. Er ist verrückt geworden.

Smechov: (schaut sie drohend an) Ich werde Ihnen jetzt …

Notar: Aber der Vertrag ist schon unterschrieben worden.

Smechov: Dann schreiben Sie den Vertrag neu, ich will sofort in das Haus einziehen, unverzüglich. Wie viel es kostet, spielt keine Rolle.

 

14

 

(Die Mutter tritt aus dem Haus.)

Mutter: Was schreist du hier herum, welchen Unfug treibst du hier, wie ein ungezogenes Kind. Ich habe vor dir keine Angst, dein Haus ist dein Haus. Ich werde keine Minute länger in deinem Haus bleiben.

Smechov: (hält sich den Kopf) Ich zahle ihnen den doppelten Preis, damit Sie sofort aus dem Haus verschwinden.

Sachenka: Papa, verkaufe für jedes Geld das Haus, sonst bringt er sich noch um.

(Man unterschreibt den neuen Vertrag.)

 

Smechov: (sich an die Leibwächter wendend)Bringt das Geld her.

Gradov: Was für Geld?

Smechov: Ich zahle bar für dieses Haus! (Pause)

(man bringt das Geld)

Smechov: Na, Hausbesitzer, zähl dein Geld!

Gradov: Ich glaube ihnen.

Smechov: Zählen! Man sollte den Worten nicht glauben.

(Gradov ist gezwungen das Geld nachzuzählen, zum Schluss nickt er einverstanden.)

 

Gradov: Alles richtig.

Smechov: (ironisch) Also habe ich Sie nicht betrogen. Alles ist richtig Gott sei Dank. (sich an einen der Leibwächter wendend)Bring mir einen Stuhl aus dem Haus. (sich jetzt an alle wendend) Ich gebe euch genau eine Stunde Zeit, um alle Wertsachen aus dem Haus zu räumen. (er schaut auf seine Uhr) Genau in 59 Minuten und 40 Sekunden können Sie nicht mehr einen Krümel aus dem Haus bekommen. Die Zeit läuft   ...

Smechov: (setzt sich auf den für ihn gebrachten Stuhl, alle stehen unentschlossen um ihn herum  und dann fangen sie langsam an, die Sachen heraus zu tragen.)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

15

 

 

(Kowrow versucht Smechov anzusprechen)

Kowrow: Mensch was tust du, warum machst du das Leben anderer kaputt?

Smechov: Weil ich mir kein eigenes Leben aufgebaut habe und es auch nicht mehr machen kann.

Kowrow: Gibt es für dich zu wenige Häuser in Russland? Wieso bist du so verwachsen mit diesem Haus, man kann dich einfach nicht trennen von dem Haus.

Smechov: In Russland gibt es viele Flüsse, haben Sie doch mal behauptet, aber der wichtigste Fluss ist die Wolga für einen  Russen. Jetzt bin ich der Eigentümer von dem Haus und morgen schwöre ich Ihnen, kauf ich die Wolga für mich.

Kowrow: (geschockt) Was kaufen Sie? Den Fluss?

Smechov: Ja, den Fluss von der Quelle bis zu seiner Mündung. Dann werde ich eine Steinmauer um den Fluss bauen lassen, drei Meter hoch, entlang dem gesamten Ufer, damit keine Seele herankommt an den Fluss. Der einzige Eigentümer des Flusses werde ich sein, ich bin dann der alleinige Herrscher der Mutter Wolga.

Kowrow: Du bist krank, du tust mir leid.

 

 

16

 

 

(Die Mutter trägt die Ikonen aus dem Haus und spricht Smechov an.)

Mutter: Hey, du bist von der ganzen Welt gekränkt, in Wirklichkeit solltest du dich nur von dir selbst gekränkt fühlen. Du hast in die falsche Richtung geguckt, du hast ein falsches Täubchen für dich gefunden. Du bist an deinem Glück mit erhobenem Kopf vorbeigegangen, ohne dein Glück je begriffen zu haben. Du hättest damals zurückkehren sollen und hättest dann wie in Abrahams Schoss gelegen, du Pechvogel.

Smechov: Schluss damit, Praskovja Nikiforovna. Ich habe Sie nicht vergessen, ich mag Sie, aber vielleicht kann ich nicht wie normale Menschen leben, ich bringe allen nur Leid.

Mutter: Was hast du dir überhaupt vorgenommen? Ich habe so viele Jahre schon gelebt, aber ich verstehe nicht, was in deinem Kopf vor sich geht. Ich sehe - du verbrennst innerlich, ich will dir helfen und du schubst meine Hand weg und du glaubst gar niemanden. (Sie geht weg.)

 

 

17

 

 

(Aus dem Haus tritt Sachenka und hält etwas in der Hand.)

Smechov: (schaut auf die Uhr) Beeilen Sie sich, Herrschaften! Und auf  was wartet ihr? (er wendet sich an seine Leibwächter) Helft doch mit! Und Sie, Alexandra Alexejewna, warum beeilen Sie sich nicht? Es ist nur noch ganz wenig Zeit.

Sachenka: Das wichtigste für mich, habe ich schon herausgetragen, ich brauche nichts mehr.

Smechov: Zeigen Sie mal! (er nimmt ein paar Papierblätter aus Sachenkas Händen) Was ist das, woher haben Sie das?

Sachenka: Seit dem Tag, als Sie uns verlassen haben.

 

(Smechov liest seine alten Notizen, sein Gesichtsausdruck verändert sich.)

Sachenka: Warum sind Sie heute so? Ich weiß doch alles, alles über Sie. Weil ich Sie spüre, jedes Wort von ihrem Manuskript kenne ich auswendig und jedes Komma. Ich habe gespürt, wie Ihre Hand gezittert hat, obwohl Sie versucht haben, sich hinter einer ebenmäßigen und ruhigen Handschrift zu verstecken. Nur deshalb spreche ich überhaupt mit Ihnen. Was ist mit Ihnen passiert, mein guter, mein gutherziger und müder Freund?

Smechov: (lässt den Kopf tief herunterhängen und spricht mit Mühe und Not) Sprechen Sie nicht so, ich bitte Sie darum. Sie können mich nicht wieder auferstehen lassen, mit mir ist alles vorbei.

Sachenka: Lieben Sie meine Mama immer noch?

Smechov: Nein. (eine Pause) Wirklich nicht, Sachenka,  alles in mir ist tot und alles wegen dieses verfluchten Hauses, nirgends war ich so glücklich wie hier. Es gab keinen einzigen Tag, wo ich mich nicht an dieses Haus erinnert habe. Wenn Sie nur wüssten, wie mich dieses Haus anzog, als wenn irgendeine Kraft mich gerufen hat.

Sachenka: Aber diese Kraft war nicht ich?

Smechov: Nein, das sind nicht Sie, leider. Das ist mein guter Schatten, der für immer in diesen Haus blieb. Deshalb bin ich auch heute hergekommen, um dieses Haus Ihnen abzukaufen. Seien Sie glücklich Sachenka und gedenken Sie meiner nicht im Bösen. (Sachenka geht weg)

 

 

18

 

(Smechov und Stolarow)

Stolarow: Ehe es zu spät ist, seien Sie doch großzügig. Wenn Sie wollen, knie ich vor Ihnen nieder. Aber geben Sie das Haus dem alten Eigentümer zurück. Sie brauchen kein Haus, Sie brauchen eine Familie, nicht vier Wände mit einem Dach und Fenster sondern lebendige Stimmen im Haus. Denken Sie, ich verstehe das nicht?

Smechov: Ja, es wäre auch so gewesen, wenn nicht ein gewisser Umstand …

Stolarow: Alles wegen dieser damaligen Ohrfeige, die Sie übrigens verdient bekommen haben. Na, geben Sie mir diese Ohrfeige zurück, aber richten Sie weder sich, noch andere Menschen zu Grunde. Gut, schlagen Sie mich, ich werde Ihnen auch die andere Wange hinhalten.

Smechov: Nein, die Sache ist nicht diese Erniedrigung, die mir Gradov damals hinzugefügt hat. Ich habe ihn schon längst alles verziehen und ich möchte gerne auch, dass er mir meine Sünden verzeiht, bitte sagen Sie das Alexej Petrowitsch, wenn die Sache zu Ende ist. Sehen Sie, ich bin in Wirklichkeit ein ganz schwaches Wesen, ich kann ihn nicht einmal selbst um Verzeihung bitten sondern muss Sie damit beauftragen. Und Sie sind ein Prachtkerl, Sie haben die rechte Wange hingehalten und auch die linke, alles nur für die Menschen. Und ich kann das nicht.

Stolarow: Also welche Entscheidung werden Sie treffen?

Smechov: Es ist besser für Sie, wenn Sie das nicht wissen.

Stolarow: Aber was ist die Schwelle, welche Sie nicht überschreiten können?

Smechov: Warum können Sie das nicht verstehen, es fällt mir schwer darüber zu reden und das als absolute Wahrheit hinzunehmen.

Stolarow: Aber ich bitte Sie! (eine grausame Pause)

Smechov: Na, zum Beispiel ich, ein nichtiger Mensch, unpraktisch, ein Gottesnarr. Aber ich bin lebendig und Sie haben mich mit anorganischer Materie gleichgesetzt …

Stolarow: Ich begreife Ihre Worte nicht, erklären Sie das bitte einfacher.

Smechov: Wie noch einfacher, was kostet ihrer Meinung nach, ein Mensch?

 Stolarow: (schreiend) Der Mensch ist unbezahlbar, das ist doch klar wie der helle Tag.

Smechov: Ich habe früher auch so gedacht, aber wie denn, mich, der nicht der allerletzte Mensch auf dieser Welt ist. Und wenn schon, aber einen Menschen, der denken und träumen kann, hat man im Wert niedriger gestellt als dieses Haus. Und dann habe ich begriffen, ich bin wertlos! Mich, mit meiner reichen inneren Welt, braucht niemand, ich bin Staub, ich bin eine Null, es gibt mich gar nicht.

Stolarow: Das stimmt alles nicht, Sie irren sich.

Smechov: Wie denn? Schauen Sie sich aufmerksam dieses Haus an und Sie werden alles begreifen. Seine zwei Etagen sind die zwei Anfangspunkte meines Lebens, vom vorigen Leben und vom jetzigen. Wenn es eine 3. Etage gäbe, könnte man auch über die Zukunft reden. Es gibt aber keine dritte, also keine Zukunft. Diese Holztür ist mein Herz, tritt ein und lebe drin. Diese Fenster sind meine Augen, diese Jalousie sind meine Hände, das Grundgerüst ist mein Skelett, das Dach ist mein Kopf und das Fundament meine Füße. Welche Beweise brauchen sie noch?

Stolarow: Machen Sie sich nicht fertig, Sachenka liebt Sie.

Smechov: (Im Angesicht eines so tiefen menschlichen Edelmutes zuckt Smechov zusammen und schlägt sich die Hände vor die Augen und wie ein Stummer, der nicht schreien kann stöhnt er einige Sekunden lang, aber dann reißt er sich wieder zusammen.) Schade, dass ich damals keine Zeit hatte, Sie zum Freund zu haben. Und in diesem Leben kann ich mir das alles nicht erlauben. Passen Sie gut auf Sachenka auf, die unwichtigsten Menschen werden mir nun doch noch zu den Allerwichtigsten. Gehen Sie jetzt los und helfen Sie den Anderen!

(Stolarow geht weg.)

 

 

19

 

 

(Gradova und Smechov )

Gradova: (sich leise an Smechov: wendend) Alexander, Sascha, mein lieber Junge. (Smechov tut so, als höre er nichts.)

(Gradova geht leise weg.)

 

20

 

(Smechov und Sachenka)

Sachenka: Na, jetzt sind Sie genau der Alte. Haben Sie sich jetzt daran erinnert, wie Sie früher mal waren? Ich weiß das, Sie schaffen es immer noch nicht, mich zu täuschen. Ich muss gestehen, ich habe damals Ihr nächtliches Gespräch mit Mama mitbekommen. Wenn ich jetzt diese Möglichkeit hätte ….ich hätte alles möglich gemacht, damit Mama mit Ihnen weggeht. Sie wissen nicht, wie sie daran gelitten hat.

Smechov: (Kühl reicht er ihr sein Manuskript zurück.) Nehmen Sie das.

Sachenka: Nein, das ist Ihrs.

Smechov: Es ist wie schon Tschechow sagte: „Ach wie schön und beneidenswert könnte das Leben sein, was für ein Leben! Aber nichts ist zurückzuholen.“ Behalten Sie es für sich, als Erinnerung!

Sachenka: Ich habe das schon, Ihre Worte und Gedanken leben in mir drin.

Smechov: (schaut auf seine Uhr) Die Zeit ist um. (Er schaut sich die aus dem Haus geräumten Sachen an.) Na, Sie sind Prachtstücke, ohne Eile haben Sie alles herausgeschafft. Geben Sie mir jetzt  den Schlüssel! (Er bekommt den Schlüssel aus den Händen von Gradov.)

 

 

21

 

 

(Smechov schließt die Tür des Hauses ab und sagt etwas leise zu den Leibwächtern. Sie kommen eine Minute später mit vollen Kanistern und fangen an, das Haus mit Benzin zu übergießen. Dann zündet er sein Manuskript an und steckt damit das Haus in Brand.)

 

Smechov: Brenne nieder, mein altes Leben, und meine gütige Vergangenheit. (Das Haus fängt an, Feuer zu fangen, bald brennt das Haus lichterloh.) Was für eine Kerze habe ich hier Gott angezündet, meine Herrschaften, wie schön brennt das Haus!

Gradov: Was für eine Barbarei! Wie viel menschliche Arbeit ist verloren gegangen, und alles nur dem teuflischen Stolz zuliebe.

Smechov: Alexej Petrowitsch, immer meckern Sie, was ist los mit Ihnen? Ich habe ihre Arbeit freizügig bezahlt, mit diesem Geld können sie ein paar Häuser für sich bauen! Sie sind ein sehr guter Bauunternehmer, da wird sogar noch Geld bei Ihnen übrigbleiben. Mein Haus brennt jetzt, nicht ihrs. Was für eine schöne Beleuchtung, prima das es schon dunkel ist, man sieht das Feuer von allen Seiten gut. Eine Kerze bis in den Himmel, als eine Erinnerung an ein altes und wertloses Haus.

(Die Mutter fängt an, zu beten und fasst sich an das Herz.) Mein Gott, was habe ich denn getan, was für eine unverzeihliche Sünde?

Smechov: (besorgt) Was ist los?

Mutter: Ich habe doch die Katze in dem Keller gesperrt, damit sie die Mäuse fängt! Sie wird jetzt zugrunde gehen.

Sachenka: Was für Mäuse? Wir hatten nie Mäuse im Haus gehabt!

Mutter: Es gibt kein lebendiges Haus ohne Mäuse. Man wird mir es nicht verzeihen, ich habe eine lebendige Seele einer solchen Qual ausgesetzt.

(Smechov rennt zum Haus, öffnet die Tür)

Gradova: (schreit durchdringend) Haltet ihn, lasst ihn nicht ins Haus hinein!

Smechov (Dreht sich um und schaut auf Gradova mit unverhohlener Zärtlichkeit, dann geht er ins Haus, welches genau in diesem Moment einstürzt.)

(eine Pause)

 

Mutter: Mein Gott, ich habe zwei Seelen zerstört!

Gradova: Mein lieber Junge, wie werde ich ohne ihn leben können, Sascha, mein Sascha.

Stolarow: Er hatte keine Gnade, mit niemandem, selbst mit sich nicht.  Und dann geht er in ein brennendes Haus, um eine Katze zu retten. (fasst sich an den Kopf und schreit) Ich verstehe das nicht!

Gradov: Es gab einen Menschen und jetzt gibt es ihn nicht mehr.

Sachenka: Doch es gab ihn, es gibt ihn und es wird ihn immer geben. Nicht mit uns, Hand in Hand, aber in unseren Gedanken. Er war der beste Mensch, den ich je kannte, ich hatte Glück, ihn auf unserer sündigen Erde zu treffen.

Kowrow: Und er hat damals behauptet, es gäbe keine russische Seele! Und selbst hat er den Menschen verachtet, zertreten, gewürgt! Und um eine Katze zu retten, geht er ins Feuer und stirbt. Nur ein Russe kann so etwas tun, niemand sonst!

Sachenka: Ach, Sie reden Quatsch, jeder, dessen Seele rein ist, würde eine lebendige Seele retten, sogar unter Einsatz des eigenen Lebens. Er konnte einfach nicht anders, er liebte uns und opferte sich restlos und bekam sowenig Wärme und Gutes zurück. Deshalb ist er vorzeitig verbrannt, wie ein Stern, den es nicht mehr gibt aber dessen Licht noch in der Dunkelheit strahlt für unsere wandelnden Seelen.

(Der Vorhang fällt)

zurück

 

Copyright by Dramaturgiewerkstatt Sergej Ianachi