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Bühnenstück "Heinrich VIII. und seine Königinnen"

Genre: Drama, History

 

 

Heinrich VIII. ist vielleicht der eindrucksvollste und bekannteste König, der England je regiert hat. Zu seinen Lebzeiten wurde er von Engländern wie Fremden gleichermaßen bewundert, gefürchtet und gehasst. Noch 450 Jahre nach seinem Tod ist er in der Erinnerung als mächtige Gestalt gegenwärtig: ein hübscher junger König, ein vollendeter Musiker, Förderer der schönen Künste und ausgezeichneter Sportler, der sich zu einem aufgedunsenen, alten Despoten mit einem Taillenumfang von 137 cm entwickelte. Heinrich erscheint als machthungriger Tyrann, der die Klöster auflöste und sich ihres Reichtums bemächtigte, der die päpstliche Souveränität nicht anerkannte und die anglikanische Religion und die Kirche von England begründete. Er ließ die Karthäusermönche und den Staatsmann Sir Thomas Morus hinrichten und protestantische Märtyrer auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Er gehörte zu den geistigen und materiellen Vätern der englischen Flotte und schuf die Voraussetzungen für Englands Aufstieg zur Großmacht. Doch vor allem ist er berühmt als Ehemann von sechs Frauen, an deren Schicksal noch heute ein alter Kinderreim erinnert: „Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt.“

(Jasper Ridley: Heinrich VIII.)

 

 

 

Der junge Arzt Georg Huber kommt in das Schlafgemach des Königs von England. Er ist seit  langem nicht nur über die körperliche, sondern auch die geistige Gesundheit seines Monar-chen besorgt. Georg neigt sich über das Bett Heinrichs und kann zu zu seiner Überraschung seinen Herrn nicht finden. Er beginnt, ihn zu suchen und wird bald fündig. Der König zittert am ganzen Leib vor Angst und weißt Huber mit unverhohlener Angst auf vier Schatten hin, die sich in seinem Schlafzimmer befinden und einen Trauerzug um das königliche Bett veran-stalten. Aber der Arzt sieht nichts und versucht den König zu überreden, sich wieder ins Bett zu legen. Nur will der verrückte Herrscher nichts hören und ruft seine Wachen zu Hilfe. Heinrich befiehlt, nicht nur seinen Arzt zu verhaften, sondern auch die vier Frauen zusam-men mit ihm. Die Wache ist bereit, jeden Befehl ihrer königlichen Hoheit auszuführen und nimmt Huber fest, kann aber nicht begreifen, welche weiteren Verbrecher in den Tower zu bringen sind. George versteht, dass er in einer misslichen Lage ist, deshalb greift er zu einem Trick und wendet sich an Heinrich mit der ehrbaren Bitte, die vier Frauen am Leben zu lassen. Der König starrt ungläubig auf den Arzt, der scheinbar der einzige Zeuge ist, der die Realität seiner verrückten Vision bestätigen kann. Sogleich schickt Heinrich seine Wachen fort und bleibt mit dem Arzt allein. Es bricht eine lange und kalte Nacht herein, voller furcht-loser Fragen und schonungsloser Antworten auf sie, wobei niemand dem anderen mehr etwas vormachen muss, weil sie für den einen zur letzten Nacht wird. Der müde und kraftlose Heinrich VIII. erzählt von seinem Leben und Schicksal, das untrennbar mit der Geschichte Englands verbunden ist. Die weiblichen Schatten kommen einer nach dem anderen bereits in Richtung ihres Gatten und die vor Schreck erstarrten Augen des jungen Arztes reden mehr für ihn als sein Mund.

 

Die Handlung spielt in der Nacht vom 27. zum 28. Januar 1547 im Whitehall-Palast in London.

 

 

 

 

 

Handelnde Personen:

1. Heinrich VIII., König von England
2. Katharina von Aragón, Heinrichs erste Frau, die Mutter der späteren Königin Mary
3. Anne Boleyn, zweite Ehefrau von Heinrich, die Mutter der künftigen Kaiserin Elisabeth der

    Großen
4. Johanna Seymour, die dritte Ehefrau von König Heinrich und Mutter von Edward VI., der bereits

    früh verstarb und dadurch nicht auf den Thron gelangte
5. Catherine Howard, die fünfte Frau Heinrichs
6. Georg Huber, Leibarzt des Königs
7. Offizier, zwei Wachen, ein Schreiber

Im Schlafgemach des Königs. Im Kamin in der rechten hinteren Ecke brennt Feuer. Auf der linken Seite befinden sich ein geschnitzter hölzerner rechteckiger Tisch und einige Stühle. Auf dem Tisch liegen zahlreiche Schriftrollen. In der Mitte des Raumes, zur Wand hin, steht das große Bett des Königs. An den Wänden hängen brennende Kerzen und verbreiten eine dezente Atmosphäre. Die Wände sind mit teuren Gobelins und Gemälden zu biblischen Themen behangen. Der junge Leibarzt tritt ein. Er ist nicht nur um den körperlichen Zustand des Königs besorgt, sondern auch um dessen Seelenleben.

Georg
(leise):

                Eure Hoheit!

 

Er geht zum Bett und stellt zu seinem Entsetzen fest, dass der König nicht in ihm liegt.

 

                Eure Gnaden, wo sind sie?

 

Er fängt an, den König überall im Raum zu suchen, aber ohne Erfolg.

 

                Milord!?

Georg besieht sich das Bett des Königs genauer und bemerkt, dass der König sich auch gar nicht schlafen gelegt hatte. Er wendet sich von ihm ab und lehnt sich an die linke Wand des königli-chen Gemachs, die mit einem Gobelin behangen ist.

Georg
(spricht laut):

                Eure Ho ...

 

Er hat seine Anrede noch nicht zu Ende gebracht, als er fühlt, dass ihn jemand von hinten packt und mit starkem Arm seine laute Anrede an den König unterbricht.

 
Heinrich
(steht im Nachthemd, den Bademantel übergeworfen):

                Warum schreist Du so herum im Gemach des Königs? Noch ein Wort und ich werde dich

                erwürgen.
Georg:     Eure Hoheit - seid Ihr's?
Heinrich: Halt den Mund, Du Idiot!
Georg:     Jetzt weiß ich, dass Ihr es wirklich seid. Ich kenne Hand und Rede meines Herrschers.          Heinrich
(lässt den jungen Arzt immer noch nicht los):

                Wer bist Du?
Georg:     Ich bin Euer neuer Arzt.
Heinrich: Und wo ist der alte?
Georg
(spricht wieder mit lauter Stimme):

                Ihr habt ihn hinrichten lassen!

Heinrich: Ich schwöre bei Gott, wenn Du den König noch weiter so anschreist, wird dieses Schick-

                sal auch Dir widerfahren.
Georg
(nachgiebig):

                Ich schweige ... ich schweige.
Heinrich: Was ist das für ein Klopfen unter meinem Fenster?

     

Ohne eine Antwort zu bekommen, lässt er den jungen Arzt los, der kaum noch atmen kann.

                

                Bist Du taub? Ich frage Dich!
Georg:     Ihr habt mir doch selbst verboten zu sprechen!
Heinrich: Ich habe Dir nur geboten, nicht herumzuschreien. Nun, antworte mir!
Georg:     Man baut ein neues Schafott.
Heinrich: Für wen?
Georg:     Für den Herzog von Norfolk und seinen Sohn.
Heinrich
(bedeutsam):

                Aaaaa ... Und was haben sie getan?
Georg:     Sie wurden des Hochverrats für schuldig befunden.
Heinrich: Das dachte ich mir. Alle haben sich gegen mich gewandt. Ihr wartet ja nur, dass ich sterbe

                oder noch besser durch irgendeinen religiösen Fanatiker geschlachtet werde. Nun, warum

                lasst Ihr alle mich nicht in Ruhe? Ich bin so müde!
Georg:     Ihr müsst Euch hinlegen, Eure Hoheit. Denn Ihr habt nicht geruht. Warum?
Heinrich
(legt den Zeigefinger an die Lippen): Pssst! Das ist Staatsgeheimnis.
Georg:     Lassen Sie mich Ihnen helfen, Eure Majestät. Ich bringe Sie zu Bett.
Heinrich
(lehnt die Hilfe ab und weist den Arzt zurecht):

                Wie wagst Du, mit mir so umzugehen, mit dem Souverän dreier Königreiche.
Georg
(fragt nach):

                Dreier?
Heinrich: Ich bin Heinrich VIII., König von England, Frankreich und Irland.
Georg:     Verzeihen Sie mir, Eure Majestät. Möge Gott meinem König gnädig sein und ihm noch

                viele Lebensjahre schenken.
Heinrich: Wie heißt Du?
Georg:     Georg Huber.
Heinrich: Woher bist du?
Georg:     Aus der Schweiz.
Heinrich: Habe ich mir gedacht. Dein Akzent verrät Dich nämlich. Haben wir in England etwa

                keine eigenen Ärzte mehr? Oder hat irgend jemand das Gesetz von Richard III. über die

                Ausländer abgeschafft?
Georg:     Ich bin ein Schüler des großen Arztes Paracelsus.
Heinrich
(etwas in Gedanken):

                Ich habe etwas über ihn gehört. Ich hoffe, man hat ihn als Ketzer auf dem Scheiterhaufen

                verbrannt.
Georg:     Nein, er ist natürlichen Todes gestorben.
Heinrich: Schade. Das heißt, er umging das Gericht der Kirche wie auch Erasmus von Rotterdam.

                Ich vermute, dass namentlich mit ihm all die Ketzerei in Europa aufkam. Alle verfluchen

                immer Martin Luther, aber er hat nur die Eier ausgebrütet, die dieser sogenannte holländi-

                sche Humanist zuvor gelegt hat. Du bist also auch Protestant?
Georg
(sagt kaum hörbar):

                Ja.
Heinrich: Und Du kommst, um mich zu töten!
Georg
(langsam, Schritt für Schritt führt er den König zu Bett):

                Ihr habt die dritte Nacht nicht geschlafen, Eure Majestät, das ist unmöglich. Euer Kör-

                per braucht Ruhe. Ihr müsst Euch erholen.
Heinrich zeigt sich einverstanden mit dem Arzt und setzt sich schon auf das Bett, als er plötzlich von ihm springt und nicht imstande ist, sein Entsetzen zu verbergen. Er bringt etwas Undeutliches hervor und versteckt sich wieder hinter einem Wandteppich. Der Arzt versucht, Heinrich zur Vernunft zu bringen und versichert, dass niemand mit Ausnahme der beiden im Raum ist. Aber der König zittert am ganzen Leib vor Angst.

Heinrich: Sie sind gekommen ... gekommen. Und nun kreisen sie wieder um mein Bett.
Georg:     Ich verstehe nicht, wer sind „sie“? Ich sehe niemanden, Eure Majestät.
Heinrich: Bist du blind geworden?
(zeigt mit zitternder Hand in Richtung seines Bettes) Vier

                Schatten haben sich dort bewegt. Sie haben schwarze Mönchskleider an. Ihre Gesichter

                sind durch Kapuzen verborgen. Aber ich habe sie trotzdem erkannt!

                Hexen!
Georg
(ruhig):

                Das schien Euch nur so. Legt Euch besser hin!
Heinrich: Um nichts in der Welt!
Georg
(bestimmt):

                Als Ihr Arzt befehle ich Euch, zu Bett zu gehen. (Pause, dann mit mitfühlender Stimme)

                Wenn Eure Majestät wünschen, werde ich bis zum Morgen bei Euch bleiben.
Heinrich
(stimmt nicht zu und schreit):

                Wachen! Wachen!

Ein Offizier und zwei Leibwächter treten in das Gemach des Königs ein.

Offizier:  Was befehlen Eure Majestät?
Heinrich: Alle festnehmen und in den Tower werfen!

Der Offizier gibt seinen Untergebenen Anweisungen. Huber wird verhaftet.

Georg:     Wofür? Was habe ich getan, Eure Majestät? Worin bin ich schuldig?
Heinrich: Du bist Protestant und hast damit Dein Todesurteil unterzeichnet.
(an die Wachen ge-

                wandt) Ihn wegbringen … und noch vier Frauen!
Offizier
(verwundert):

                Frauen? Vier?
Heinrich: Ja, es sind Frauen. Was starrst Du mich an?
Offizier
(schaut sich um):

                Aber Frauen sind nicht in das Schlafzimmer Eurer Majestät gegangen, zumindest nicht in

                den letzten 24 Stunden.
Heinrich: Wie können sie denn dann hier auftauchen? Ihr seid wohl auf dem Posten eingeschlafen!
Offizier:  Unmöglich, Eure Majestät. Niemand hat auch nur ein Auge zugetan.
Heinrich
(wütend):

                Parasiten! Ihr habt auch diesen Protestanten verschlafen. Alle bestrafen ... alle. Und die-

                sen zuallererst! (zeigt auf den Arzt)

Georg versteht, dass er dem Untergang geweiht ist und sinnt auf einen Trick, um sein Leben zu retten.

Georg
(bittet um die Gnade seines Dienstherrn):

               Verschonen Sie die Frauen, Eure Majestät. Bestrafen Sie mich, aber lassen sie Ihnen

               das Leben. Denn Sie sind so schön!
Heinrich
(mit Zweifel in der Stimme):

               Du siehst sie also auch?
Georg:    Ja, so klar wie den hellerlichten Tag!
Heinrich (betet): Oh, Jesus! Du hast meine Gebete erhört! Deine Gnade ist grenzenlos. Ich bin Dir

               zu allem verpflichtet.


In eben diesem Moment versucht die Wache, den Arzt abzuführen, aber die unzufriedene Stimme des Königs hält sie auf.

Heinrich: Was macht Ihr?
Offizier:  Wir führen diesen Staatsfeind in den Tower ab!
Heinrich: Wer hat das angeordnet?
Offizier:  Ihr soeben, Eure Majestät!
Heinrich: Ich?
Offizier:  Jawohl, Eure Majestät!
Heinrich: Ich nehme meinen Befehl zurück. Tretet alle wieder weg. Und Du kannst bleiben,

                Georg.

Der König und der Arzt bleiben unter sich. Heinrich sieht zunächst in Richtung seines Bettes, dann auf Georg.

Heinrich: So, siehst Du sie also wirklich?
Georg
(lügt):

                Wie nie zuvor!
Heinrich
(klopft seinem Arzt fröhlich auf die Schulter):

                Aha, das heißt, ich bin nicht verrückt, wie Ihr alle hier mich zu überzeugen versucht.

 

Nach kurzer Pause fährt er nachdenklich fort:

 

                Zumindest die Seelenkranken haben sich verdoppelt... und damit die Augenzeugen einer

                unsichtbaren jenseitigen Welt. Einer Welt, in der die Toten den Schlaf der Lebenden stö-

                ren.


Tatsächlich beginnt Georg, schwarze Schatten zu sehen, die mit Kerzen in den Händen um das Bett des Königs laufen.

 

Georg:     Ich traue meinen Augen einfach nicht. Was ist das?
Heinrich: Das ist erst der Anfang. Wie viele neue Offenbarungen und Entdeckungen Dich noch

                erwarten! (fühlt einen Schmerz im Bein) Bring mir schnell einen Stuhl. Ich muss mich

                hinsetzen. Mein krankes Bein...

Georg bringt einen Stuhl und stellt ihn neben den König.

Heinrich: Warum stehst du?
Georg.     Ich habe nicht das Recht, in Gegenwart des Königs zu sitzen.
Heinrich: Nimm Dir einen Stuhl und setze Dich hinzu.

Georg:     Aber, Eure Majestät ...
Heinrich: Ich befehle es Dir! Wenn Du willst, räume ich Dir und Deinen Nachkommen das Recht

                ein, in Anwesenheit des Königs zu sitzen, währenddessen alle anderen Untergebenen

                verpflichtet sind, ihn stehend zu grüßen. Möge es so sein, solange es die britische Krone

                gibt!

Georg führt den Befehl des Königs aus und setzt sich neben ihn.

Georg:     Was für eine Ehre das für mich ist! Aber womit habe ich das verdient?
Heinrich: Du hast heute das Leben Deines Souveräns gerettet und Dir das Recht verdient, neben

                ihm zu sitzen.
Georg:     Aber wer sind diese Damen, die solch einen Trauermarsch um das Königsbett veranstal-

                ten?
Heinrich
(spricht kaum hörbar und schaut sich nach allen Seiten um):

                Das ist Staatsgeheimnis! Aber Dir erzähle ich es: Das sind meine Königinnen!
Georg:     Wer? Ihre Königinnen!
Heinrich
(spricht müde):

                Meine und nur meine.
Georg:     Sie waren viermal verheiratet, Eure Majestät?
Heinrich: Nicht viermal, sondern sechsmal.
Georg:     Und warum sehe ich jetzt nur vier der sechs Königinnen?
Heinrich: Hör mal Georg, wann bist Du eigentlich nach England gekommen?
Georg:     Vor zwei Monaten.
Heinrich: Hast Du noch nie etwas von mir gehört?
Georg:     In Europa gibt es so viele Gerüchte über Eure Majestät, dass ich nicht weiß, was man

                glauben kann und was nicht.
Heinrich: Glaube Du auch niemandem, mein treuer Freund Huber. Es ist besser, wenn Du die

                bittere Wahrheit über mich hörst ... von mir selbst statt von einem korrupten römisch-

                katholischen oder von einem protestantischen Häretiker. Vielleicht wirst wenigstens Du

                mich nicht richten.
Georg:     Wie sollte ich?

Heinrich: Über mich und meine Frauen erzählt am besten ein Kinderreim, der ungefähr so klingt:

                "Geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt."
Georg:     Ich fürchte jedoch, dass ich die Bedeutung dieses bösen Scherzes nicht ganz genau ver-

                stehe. Heißt das etwa, dass nicht alle Eure Frauen ein solch schreckliches Todeslos erlit-

                ten haben?

Pause.

 
Heinrich: So ist es auch. Denn ich wollte niemandes Tod. Glaubst du mir?
Georg:     Ich glaube es.
Heinrich: Ich bin Heinrich VIII., von Gottes Gnaden König von England, der zweite Sohn von

                König Heinrich VII. und Elizabeth von York. Schon 38 Jahre regiere ich als alleiniger

                Herrscher meine Untertanen, aber glaube mir, in jedem Flüstern, in jedem Klopfen

                erscheint mir bis heute eine Verschwörung gegen mich zu sein.
Georg:     Doch Euer Volk liebt Euch so, Majestät!
Heinrich
(mit ironischem Lachen): Es liebt mich?!... Die Briten sind immer dann bereit, den

                Usurpator anzuerkennen, wenn der abgesetzte Monarch schwach, verweichlicht,

                homosexuell oder Pazifist ist oder gar einen Krieg verloren hatte. Übrigens, Thronfolgen

                finden in England mit seltsamer Regelmäßigkeit immer alle 72 Jahre statt.
Georg:     Das kann nicht sein!
Heinrich
(erbost):

                Wie kannst Du es wagen, die Worte des Königs in Frage zu stellen! Du Wurm!
Georg:     Verzeihen Sie mir, Eure Majestät.
Heinrich
(fährt beruhigt fort zu reden):

                Wenn ich sage, dass es alle 72 Jahre so ist, dann ist das auch so. Der Machtwechsel fand

                immer, nur mit ein paar Ausnahmen von dieser Regel statt, was nur um so deutlicher be-

                stätigt, dass ich Recht habe. Im Jahre 1327 wurde der homosexuelle Eduard II., der einen

                Krieg gegen die Schotten verloren hatte, abgesetzt, ins Gefängnis geworfen und ermordet.

                72 Jahre später, 1399, wurde der weibische Richard II., der sich geweigert hatte,den Hun-

                dertjährigen Krieg mit Frankreich fortzusetzen, gestürzt, eingesperrt und ermordet.

                Weitere 72 Jahre später schließlich, 1471, widerfuhr dem frommen Pazifisten Heinrich

                VI., der sämtliche englische Gebiete in Frankreich verloren hatte, dasselbe Schicksal.

                Und jetzt sind wieder 72 Jahre um, und ich versuche herauszufinden, wer von meinen

                Untergebenen bereit ist, sich die englische Krone auf den Kopf zu setzen.

Georg:     Aber Eure Majestät sind kein Pazifist, und nach der Anzahl Eurer Frauen zu urteilen, auch

                nicht unbedingt homosexuell. Und deshalb ist Euer Thron ....
Heinrich (unterbricht):

                Mein Thron?! Du bringst mich zum Lachen! Er ist genau so mein, wie Dein.
Georg:     Eure Majestät möchten wieder scherzen?
Heinrich: Die besten Herolde des Königreiches zerbrechen sich immer noch den Kopf, welche

                Gründe es für meinen Vater gab, die englische Krone zu beanspruchen. Warum, denkst

                Du, hat der Herzog von Buckingham seinen Kopf verloren?
Georg:     Er beging Hochverrat. Englands erster Herzog entschied, von da an selbst zu regieren. Heinrich: Und hatte allen Grund dafür!

Georg:     Außerdem hatte er angedeutet, dass er mit Heinrich VIII. das zu tun gedenke, was sein

                Vater mit Richard III. vorgehabt hatte.  
Heinrich: Nun, das ist offensichtlich. Der Herzog von Buckingham ist direkter Nachkomme von

                Richard III. Er stand dem englischen Thron am nächsten, und das war sein einziger, aber

                fataler Fehler.

Georg:     Alles Gottes Wille.
Heinrich
(zittert am ganzen Leib):

                Wie kalt es in diesem Winter in England ist! Wirf ein paar Scheite in den Kamin. Ich frie-

                re etwas. (spricht betont) Aber Vorsicht, erschrecke die Schatten meiner Vergangenheit

                nicht.

Georg führt den Wunsch des Königs aus und legt ihm eine Decke über den Rücken.

Georg:     Eure Majestät, ich würde Euch gern etwas fragen...

Heinrich: Frage, mein Arzt!

Georg:     Wenn Ihr sechs Mal verheiratet wart, warum sind nunmehr nur vier von Euren Frauen

                 hier anwesend?
Heinrich
(sagt leise): Das sind die Frauen, die ich getötet habe.
Georg
(schreit auf): Getötet ... von eigener Hand?
Heinrich: So oder so, aber letztlich bin ich an ihrem Tod schuld.
Georg:     Und es tat Euch nicht leid?
Heinrich: Schreibe es Dir hinter die Ohren wie das Vaterunser, dass es in der Politik kein solches

                Gefühl wie Mitleid gibt. Wenn Du erlaubst, dass Dich Gefühle übermannen, dann kannst

                Du Dich als abgesetzten Herrscher ansehen. Das Volk liebt einen starken und mächtigen

                König, der nicht an sich zweifeln soll und darf. Es ist besser, hundert unschuldige Tote

                mehr umzubringen als einen, der die königliche Justiz umgeht. (Pause)

                Meine erste Frau war Katharina von Aragón. Sie steht rechts hinten in der Ecke.

                Gegenüber ihr, links, ist Anne Boleyn, meine zweite Frau. Daneben Johanna Seymour,

                meine dritte Frau. Und schließlich Catherine Howard.
Georg:     Bei dieser Zahl von Frauen dreht sich mein Kopf geradezu, und ich fürchte, dass ich sie

                mir niemals alle merken kann.
Heinrich: Vielleicht wird mein Henker Dir und Deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Aber

                jetzt kein Wort mehr, Du siehst den einen Schatten, der sich von seinem Platz bewegt und

                langsam auf uns zukommt. So, Du musst Dich jetzt an nichts erinnern. Jetzt schau nur zu

                und sage um Gottes willen kein Wort.

An den König tritt ein Schatten heran. Catherine Howard.

Catherine: Ich bin so schuldig vor Eurer Majestät.
Heinrich:   Anna?!
Catherine: Ich bin Catherine Howard, Eure fünfte Ehefrau.
Heinrich
(im Zorn):

                  Warum bist Du zu mir gekommen? Willst Du mir wieder Hörner aufsetzen? Sünderin.
Catherine: Alles nur wegen meines früheren ausschweifenden Lebens. Ja, ich habe wirklich Verrat

                  begangen. Entschuldigt, Eure Majestät!
Heinrich
(wendet sich an seinen Arzt): Wir haben genau an dem Tag geheiratet, als Lordkanzler

                  Thomas Cromwell sich von seinem Kopf verabschiedete. Ich brachte Catherine seinen

                  Kopf, wie einst König Herodes, der das Tanzen seiner Adoptivtochter bewunderte und

                  der Erdgöttin für den Tanz des Todes danken wollte. Der Frauenlaunen und der Worte

                  des Königs wegen wurde in biblischen Zeiten das Haupt Johannes' des Täufers auf einer

                  Schüssel gebracht.
Catherine
(launisch): Aber für Anne brachtet Ihr zwei Köpfe von Kardinälen: den einen von Wol-

                  sey, den anderen von Fischer.
Georg
(bekreuzigt sich):

                  Oh, Gott!
Heinrich:   Bekreuzige Dich mehr, Protestant. Vielleicht geht der bittere Kelch dann an Dir vorbei.
Catherine: Ihr habt so viel für mich getan!
Heinrich:   Geh weg. Du hast den Namen des Königs beschmutzt.
Catherine:  Aber mein König ...
Heinrich:   Fort von mir! Catherine Howard aus Lambeth in der Grafschaft Surrey. Dein niedriges

                  und unzüchtiges Leben hat uns für immer getrennt.
Catherine: Aber ich habe mich zu meiner Schuld bekannt und alle Untergebenen gebeten, Euch in

                  allen Dingen unbedingt zu gehorchen. Ich habe mein Verbrechen bereut.
Heinrich:   Ich will Dich nicht mehr sehen.
Catherine: Habe Mitleid mit mir, Heinrich.
Heinrich:   Geh und zeige Dich in Zukunft nie wieder, denn ich kann auch einen körperlosen Geist

                  enthaupten lassen.

 

Catherine Howard geht mit Tränen in den Augen weg.

 
Georg:       Das war also Eure fünfte Frau nach der Reihenfolge und der vierte Schatten?
Heinrich:   Du bist beileibe nicht so dumm, wie Du scheinst. Aber da Du gerade von der Reihenfol-

                  ge sprichst, ist es jetzt an der Reihe, alle meine Frauen zu benennen, und das besser in

                  umgekehrter Reihenfolge der einfacheren Erzählung halber. Die jetzige und sechste Ehe-

                  frau ist Catherine Parr. Jetzt ist sie bei guter Gesundheit und, bewahre Gott, wird mich

                  überleben, da sie mehr als zwanzig Jahre jünger ist als ich. Die fünfte Frau hast Du

                  heute selbst gesehen. Von der vierten Ehefrau, Anne Kluge, bin ich geschieden. Somit

                  sind nur drei Frauen übrig ...
Georg:       ... drei Königinnen.
Heinrich:   ... drei Schatten.
Georg
(wird genauer):

                  Diejenigen, die tot sind. Oder besser gesagt, von Euch getötet wurden.
Heinrich:   Warum zitterst du? Ist Dir kalt?
Georg:       Ich habe Angst.
Heinrich:   Am Anfang ist es fürchterlich ... zu töten. Aber mit der Zeit gewöhnt sich der Mensch an

                  alles, auch der König. Jedes Jahr habe ich zwei bis drei Tausend Verschwörer hingerich-

                  tet. Zugegeben, das ist nicht besonders viel. Aber es war genug, um die königliche Auto-

                  rität zu festigen.
Georg
(rechnet zusammen):

                  Das heißt, während Eurer gesamten Regentschaft wurden über hunderttausend Men-

                  schen getötet!
Heinrich:   Wenn Du im Namen des Gesetzes tötest, dann tötest Du nicht den Menschen, sondern

                  den Verbrecher. Aber ich fürchte, dass diese Zahl möglicherweise nicht endgültig ist.

                  Immerhin habe ich mehrere blutige Kriege geführt, und folglich kann sich die Zahl

                  meiner Opfer verdoppeln. Aber das sind keine Kriminellen, sondern verfluchte Feinde.

                  Das Gesetz des Krieges lautet: Töte oder Du wirst getötet.
Georg:       Eure Moral ist ungeheuerlich. Die Geschichte kennt keinen solchen Präzedenzfall bluti-  

                  ger Verbrechen einer königlichen Tyrannei.
Heinrich
(grinst):

                  Das steht noch nicht fest. Es werden einige Jahrzehnte, vielleicht auch Jahrhunderte

                  vergehen, und meine Untaten, wie Du sagst, stehen in keinem Vergleich zu künftigen

                  Verbrechen von Herrschern gegen ihr eigenes und andere Völker. Aber ich war der erste

                  an der Quelle der absoluten Macht des Königs, und aus meiner Erfahrung werden noch

                  mehr rücksichtslose Herrscher lernen.
Georg:       Wird es etwa tatsächlich Nachahmer und Nachfolger Eurer Sache geben?
Heinrich:   Zweifle nicht daran, mein Arzt. Es wird sie geben!
Georg:       Gott wird es nicht zulassen.
Heinrich:   Du hast scheinbar vergessen, dass ich das Haupt nicht nur des Staates, sondern auch der

                  Kirche bin. So ist alles von mir Getane gemacht durch den Willen und mit der Zustim-  

                  mung Gottes.
Georg:       So zu denken ist geradezu Blasphemie. Eure Majestät sind ein großer Sünder.
Heinrich:   Ein großer König und ein großer Sünder - das sind zwei Seiten einer Medaille.
Georg
(nachdenklich):

                  Ich habe mir immer eine Frage gestellt: Warum wollen die Menschen immer denen

                  gleich sein, die schlechter sind als sie? Aber ich habe sie mir nie beantworten können.
Heinrich:   Und jetzt?
Georg:       Selbst jetzt kann ich es nicht.
Heinrich:   Oder willst Du nicht?
(Pause) Doch verstehe, Georg, dass die Pflicht der Könige darin

                  besteht, das Blut der wenigen Menschen zu vergießen, von denen die Gefahr des Zusam-

                  menbruchs des ganzen Staates drohen kann.
Georg:       Hunderttausend Menschen. Sind das die wenigen, die mit Ihrem Leben für Eure Angst

                  vor dem Verlust Eurer Krone zahlen müssen?
Heinrich:   Jeder Tropfen Blut, der unter mir vergossen wurde, hätte unter einem schwächeren Kö-

                  nig zu einem Strom werden können. Dieses Opfer habe ich im Namen unserer guten und

                  hoffentlich besseren Zukunft bringen müssen.
Georg:       Und doch kann ich keinerlei Worte finden,die Euch vor zukünftigen Generationen recht-

                  fertigen würden!
Heinrich:   Suche nicht nach ihnen, sie sind mir längst bekannt.
Georg:       Und welche Worte können alles menschliche Leid wieder wettmachen? Was kann

                  unschuldig geschlachtete Opfer aufwiegen?
Heinrich
(sich rechtfertigend):

                  Es war meine Aufgabe, es nicht zum Krieg kommen zu lassen.
Georg:       Nun, Ihr selbst habt doch den Krieg begonnen. Zunächst mit Frankreich und dann mit

                  dem Heiligen Römischen Reich.
Heinrich:   Jetzt spreche ich vom religiösen Krieg. Vielleicht dem fürchterlichsten, der vor den

                  Toren meines Englands stand und seine Existenz bedrohte. Und glaube mir, der Bürger-

                  krieg der roten und weißen Rose war nichts gegenüber dieser Heimsuchung und muss    

                  jedem vernünftigen Menschen als Nebensächlichkeit erscheinen. Denn in einer solchen

                  würde es weder Sieger von York mit ihrer Besessenheit auf die Macht geben, noch

                  Besiegte von Lancaster,die müde sind vom endlosen Kampf, weder Katholiken noch

                  Protestanten ... niemanden. Nur allein den Tod. (Pause)
Georg:       Der Weg zur Hölle ist immer noch mit guten Vorsätzen gepflastert. Und Eure Majestät

                  sind nicht der erste, der auf ihm wandelt. Ich sehe, dass dieser Krieg in Euch selbst

                  brennt.

 
Georg steht vom Stuhl auf und geht lange durch den Raum. Seine unbedachten Bewegungen ziehen die Aufmerksamkeit eines folgenden Schattens auf sich, der in Richtung des Königs geht. Der Arzt versucht, seinen König zu warnen.

Georg
(spricht leise):

                  Da kommt ein Schatten auf Euch zu, Majestät.
Heinrich:   Ja, ich kann es sehen. Wenn Du vorsichtiger gewesen wärest, dann wäre alles noch ein-

                  mal gut gegangen. Jetzt bete zu Gott, mein Protestant!

Der Schatten kommt näher an den König heran und spricht zu ihm.

Johanna:    Guten Abend, mein Herr!
Heinrich:    Anna?
Johanna
(spricht kurz angebunden):

                   Habt Ihr mich etwa schon vergessen? Ich bin Johanna Seymour, Eure dritte Frau.
Heinrich:    Oh, Du meine Liebste. Meine große Märtyrerin.
Georg:        Wenn sie Märtyrerin ist, so bedeutet dies, dass Eure Majestät die Inquisition persönlich

                   waren.
Heinrich:    Sie hat so viel für mich getan. Johanna ist meine einzige Frau, die mir einen Sohn

                   gebar. Höre, Georg: einen Sohn. Den Stammhalter des Geschlechts der Tudor. Einen

                   Thronfolger! Wie lange habe ich auf ihn gewartet! (Pause) Aber leider starb die arme

                   Johanna zwei Wochen nach der Geburt.
Johanna:     Die Geburt war schwierig, und damit das Kind im Mutterleib nicht erstickt, hatte ich

                   einen Kaiserschnitt. Dann, nach der Geburt, kam das Fieber ...
Heinrich:    Sie hat alles gegeben und alles geopfert, um meinen Traum zu verwirklichen.
Georg
(berührt):

                   Also, Johanna starb im Wochenbett und wurde nicht durch Euch umgebracht!
Heinrich:    Aber trotzdem bin ich schuldig am Tod meiner Frauen und nehme mich nicht von dieser

                   Schuld aus. Wenn diese Geburt nicht gewesen wäre, so wäre Johanna schließlich noch

                   am Leben.
Georg:        Aber ihr Tod ist nicht Eure Schuld!
Heinrich
(flehentlich): Denkst Du wirklich so?
Johanna
(antwortet Georg):

                   Natürlich nicht. Frauen haben gebärt und werden immer wieder Kinder gebären, trotz

                   des bestehenden Risikos. Aber sie gehen diesen Schritt zu Recht, und keine Könige

                   können sie dabei aufhalten.

 

Die Königin kämmt dem König die Haare.

 

                   Oh, mein König, Du bist immer noch weise und reich wie Salomo, stark wie Samson

                   und schön wie Absalom!
Heinrich:    Wahrlich, sie ist ein Engel.
Georg:        Sie ist wirklich ein guter und schöner Engel, und Ihr ... kein Dämon.
Heinrich:    Wer bin ich denn?
Georg:        Vielleicht auch ein Engel, aber leider ein gefallener.
Johanna  
(wendet sich an den Arzt):

                  Er war so untröstlich, als ich gestorben bin. Heinrich hat sich ganze zwei Wochen nach

                  der Beerdigung nicht entschieden, jemandem sein Herz zu öffnen, dass er schon eine

                  neue Frau für sich sucht.
Georg
(mit einem Grinsen):

                  Zwei Wochen Trauer für den König von England - das ist eine lange Zeit!
Heinrich:   Was, Du Protestant, kannst Du Dir Deine Bemerkungen nicht sparen?
Georg:       Ich gebe nur Eurer Majestät die Ehre.
Heinrich:   Mit den Katholiken habe ich es einfacher. Sie brennen nicht so grell auf dem Scheiter-

                  haufen wie Deine Glaubensbrüder!
Johanna
(wendet sich an den König):

                  Heinrich, wie geht es unserem Sohn?
Heinrich:   Es geht ihm gut. Er ist gesund, Liebste. Sorge Dich nicht um ihn, ihm passiert nichts

                  Schlimmes, solange ich lebe.
Johanna:    Ich weiß, Liebster. Du liebst ihn doch so. Aber jetzt muss ich Dich verlassen.
Heinrich:   Leb wohl, meine Johanna!
(sie geht).
Georg:       Dies ist, wie ich verstehe, Eure dritte Frau.
Heinrich:   Ja, mit ihr war ich so glücklich. Vielleicht gerade, weil ich mit ihr nur ein Jahr lebte.
Georg:       Und sofort begann Eure Majestät, die vierte Frau zu suchen. Für einen trostlosen Witwer

                  habt Ihr Euch äußerst schnell getröstet. Und das nennt Ihr die wahrhaftige Liebe?
Heinrich
(empört):  

                  Was weißt Du denn überhaupt von der Liebe?!
Georg:       Ich denke, dass wahre Liebe nicht verraten werden darf.
Heinrich:   In Worten bist Du weise, aber schrecklich unerfahren und dumm in den Dingen des

                  Herzens. Deshalb hast Du das Wichtigste nicht verstanden, nämlich, dass Hass nur die

                  Fortsetzung von Liebe ist. Selbst auch ihr ungeliebtes Kind!
Georg
(fest):

                  Nein.
Heinrich:   Die Liebe ist die Scheide und der Hass der Dolch,
der in ihr bis zum Fall der Fälle

                  steckt. Aber glaube mir, dass der Stahl sich eines Tages seiner blutigen Bestimmung

                  erinnert und kaltblütig Rache nimmt. Alle, ja jeden wird er töten.
Georg:       Liebe kann nicht zu Bösem führen, das fühle ich. Reden Sie mir so etwas nicht ein.
Heinrich:   Du bist halt jung und heißblütig. Aber die Jahre vergehen, und du erfährst auch noch die

                  bittere Wahrheit meiner Worte.
Georg:       Ich möchte lieber nicht Eure Weisheit erleben, Milord. Feuer und Folterbank sind mir

                  hundertmal lieber. Denn wer einmal verraten hat - denn Hass ist auch Verrat an der

                  Liebe - der wird sicherlich auch ein zweites und drittes Mal verraten.
Heinrich:   Und ein fünftes Mal, stell Dir vor, gibt es auch.
Georg:       Und keine Gewissensbisse?
Heinrich:   Hast Du Dich entschieden, ein Verhör mit mir zu veranstalten? Vielleicht erwartest Du

                  jetzt irgendeine Art von Reue von mir oder ein Bekenntnis?
Georg:       Weder das eine, noch das andere. Ich bin dumm, aber ich sehe auch, dass Ihr
nicht den

                  Mut habt zu einer Herzensmesse.
Heinrich (wütend):

                  Hast Du jemals gehört, wie Leute unter Folter schreien?
Georg:       Nein.
(Pause) Aber ich weiß zu gut, wie die Menschen an den Schmerzen leiden.
Heinrich:   Jetzt rede ich nicht von den natürlichen Schmerzen des schwachen Menschenfleisches,

                  das von einer Krankheit gequält wird, sondern von den unnatürlichen Leiden. Von denje-

                  nigen, die ein Mensch dem anderen zufügt. Weißt Du denn, wie unerschöpflich der

                  menschliche Verstand für solche Erfindungen ist, für so feine Details auf diesem noch

                  nicht vollständig erforschten Gebiet der menschlichen Entdeckungen?
Georg:       Ich kann es mir vorstellen!
Heinrich:   Deine Phantasie ist nur ein Funke in dem knisternden Feuer, das aus menschlichen

                  Überresten besteht, und das niemals völlig abbrennt. Zusätzlich zu den irdischen Strafen

                  wie Tod auf dem Scheiterhaufen, Folter, Galgen, Kerker, Ohrenabschneiden, Auspeit-

                  schen und Stock, die einem Delinquenten drohen, kann der Prediger als letztes Ab-

                  schreckungsmittel das Höllenfeuer und die ewige Verdammnis beschwören.  
Georg:       Und das ist Euer England?
Heinrich:   Nicht ganz. Ich hätte fast vergessen, dass Verbrecher auch in kochendem Wasser und

                  sogar in Öl gekocht werden. Im Allgemeinen werden 123 Arten von Verbrechen mit der

                  Todesstrafe bestraft. Na, und?
Georg:       Das ist die Hölle!
Heinrich:   Wohlgemerkt, erschaffen von Anfang bis Ende von Menschenhand.
Georg:       Ich kann das nicht mehr hören.
Heinrich:   Wie schwach Du bist, Georg. Aber ich habe Dir immer noch kein Wort über Folter

                  erzählt. Hast Du schon mal etwas gehört zum Beispiel über das Zersägen des Opfers

                  oder über Schädelquetschung, das Rädern, die Folterbank, das Brustzerreißen, die Birne,

                  Würgschraube oder Kreuzigung? Was ist nach Deinem Geschmack?
Georg:       Haltet den Mund, um Gottes willen.
Heinrich:   Aber mir ist die Folterbank auch lieber. Das ist, wenn der Unglückliche an ein Brett ge-

                  bunden wird und der Körper durch die rotierenden Räder gesteckt wird. Es platzen nur

                  die Muskeln. Der Körper wird bis zu 30 cm gedehnt. Das Wichtigste ist, dass man am

                  Körper des Opfers keinerlei äußere Anzeichen von Folter findet.
Georg:       Ich will es nicht hören.

 

Georg hält sich die Ohren mit den Händen zu, aber der König redet ungeachtet dessen weiter.

 
Heinrich:   Nun, die Vierteilung ist eine ganz andere Art von Bestrafung. Es ist mehr wie ein

                  Fleischwolf, wenn alle Teile des Körpers des Verurteilten einzeln zerstört werden. Diese

                  Folter geht zumeist später in die Hinrichtung über. Der Verurteilte wird mit auseinander

                  gestreckten Beinen und ausgestreckten Armen auf zwei Holzstücke gelegt. Der Henker

                  zerbricht mit einer eisernen Stange Hände, Unterarme, Oberschenkel, Beine und Brust-

                  bein. Dann wird der Verurteilte an ein kleines Wagenrad befestigt, das gehalten wird von

                  einem Pfahl. Die gebrochenen Hände und Beine werden auf den Rücken gebunden und

                  das Gesicht des Bestraften zum Himmel gerichtet, damit er den Tod in dieser Haltung

                  empfing. Und manchmal wird der Mensch mit gebrochenen Knochen über ein Feuer ge-

                  hoben und bei lebendigem Leibe der Bauch aufgeschlitzt, seine Eingeweide herausgezo-

                  gen und vor ihm gebraten … Und, wie? ...

Heinrich sieht der langerwarteten Reaktion Georgs entgegen, aber plötzlich bemerkt der König einen dritten Schatten, der sich ihm nähert und unterbricht seine Erzählung.

Heinrich
(ängstlich):  

                 Zu uns kommt wiederum jemand. Nun, höre, Georg.
Georg
(hält sich nach wie vor die Ohren mit den Händen zu):

                 Lasst mich in Ruhe. Das geht über meine Kräfte.
Heinrich
(schaut ängstlich auf den sich bewegenden Schatten):

                 Über meine auch, mein Arzt. Ich sage Dir doch, es nähert sich uns wiederum jemand!
Georg:      Nicht uns, sondern Euch, Eure Majestät.
Heinrich:  Was, Du wagst es, mich allein zu lassen? Das ist nicht die feine christliche Art, Huber.
Georg:      Aber Leute foltern und sie töten, das sind Eure biblischen Gebote.
Heinrich:  Es ist jetzt nicht die Zeit, über die Vergangenheit zu reden, mein Protestant, wenn Dein

                 König Dich braucht.

Ein düsterer Schatten hält nur ein paar Schritte vor dem König, als ob er grübelt, ob er wieder zurückgehen oder trotzdem mit dem König sprechen sollte. Die Erscheinung entscheidet schließ-lich, sich wieder zurückzuziehen, aber die unvorsichtigen Worte Heinrichs geben ihm die Kraft, vor dem Monarchen zu erscheinen.

Heinrich:   Bist Du es, Anna?
Katharina: Du bist wieder im Wahn wegen ihr. Ich bin Katharina von Aragón, Eure rechtmäßige

                  Ehefrau und Mutter der Alleinerbin des britischen Throns, Prinzessin Mary.
Heinrich:   Wieder wärmst Du den alten Brei auf, Catherine. Du bist nicht die Königin. Du bist die

                  Witwe des Prinzen von Wales.
Katharina: Nein. Ich bin die Königin von England.

 

Der Schatten wirft die Mönchskutte von sich.

 
Heinrich
(steht mit einem Ruck vom Stuhl auf):

                  Du bist wieder in dieser schrecklichen spanischen Tracht. Warum trägst Du sie?
Katharina: Zum Zeichen der Trauer um meinen König.
Heinrich:   Du hast Dich in eine alte Frau verwandelt. Du bist nicht einmal vierzig Jahre.
Katharina: Das Unglück hat mein früheres Aussehen verändert. Einst war ich eine schöne und

                  fröhliche Königin und der ganze Hof hat mich bewundert, aber die Hauptsache war, ich

                  war von meinem Ehemann und König geliebt. Ich habe dem Herrn gedankt, dass ich die

                  Frau eines weisen und gerechten Herrschers bin. Gott gab uns den meist geliebten Herr-

                  scher. Die Habgier hat das Land verlassen, und Großzügigkeit verteilt den Reichtum

                  freigebig. Unser König sucht weder Gold noch Silber noch Edelsteine oder kostbare

                  Metalle, sondern nur Tugend, Ruhm und Unsterblichkeit. Ich schenkte ihm Kinder, aber

                  Gott hat es gefallen, sie in den Himmel zu rufen. Ich kann nicht von diesen unverdien-

                  ten Verlusten abgehen, um so mehr, da Ihr entschieden habt, mich zu verurteilen.
Heinrich:   Verstehe, Katharina, ich kann nicht gegen die Gebote Gottes handeln. Denn es ist in der

                  Bibel gesagt: "Die Blöße der Frau Deines Bruders sollst Du nicht aufdecken. Es ist die

                  Blöße Deines Bruders."
Georg
(verwirrt):

                   Entschuldigt mich, jetzt verstehe ich überhaupt nichts. Bedeutet dies denn, dass Ihre

                   erste Ehefrau die Frau Eures leiblichen Bruders war?
Heinrich:    So war es auch. Ich führte sie zum Altar, als es noch keinen König Heinrich VIII. gab,

                   sondern den Herzog von York.
Georg
(wendet sich an Katharina):

                   Und wie hieß Ihr erster Ehemann?
Katharina:  Arthur. Er war der älteste Bruder des Königs, verstarb aber sechs Monate nach unserer

                   Hochzeit viel zu früh.
Heinrich:    Aber Du hast behauptet, dass Deine erste Ehe noch nicht vollzogen worden war!
Katharina:  Ich rede auch jetzt davon, und Gott ist nicht der einzige Zeuge meiner Worte.
Heinrich:    Wer sonst kann bestätigen, dass Du eine Jungfrau warst?
Katharina:  Ihr, mein Ehemann!
Georg:        Ist das wahr, Majestät?
(Heinrich schweigt)
Katharina:  Gereicht es Euch wirklich nicht an Mut, zuzugeben, was Euch und mir bekannt ist?
Heinrich:    Der Scheidungsprozess zog sich über mehrere Wochen hin. Zeugen wurden vernom-

                   men, die aussagen sollten, ob Katharinas Ehe mit Arthur vor 28 Jahren vollzogen

                   worden war. Betagte Lords, vornehme Damen, Edelleute und Diener berichteten, was

                   sie im November 1501 in der Hochzeitsnacht gesehen und gehört hatten. Wie blass und

                   müde der Prinz von Wales am nächsten Morgen ausgesehen habe und dass er seinen

                   königlichen Kammerherren erklärt habe, er sei in der Nacht "mitten in Spanien"

                   gewesen.
Katharina:  Das ist eine Lüge.
Heinrich:   Das kann man schwerlich glauben, Katharina, dass eine Ehefrau, die sechs Monate das

                  eheliche Bett geteilt hat, Jungfrau geblieben ist. Aber auch das hat jetzt keinerlei Bedeu-

                  tung. Denn die Bibel sagt deutlich: "Du sollst nicht die Blöße Deines Bruders aufdek-

                  ken". Und Schluss.  
Katharina: Aber in der Bibel gibt es auch ein anderes Gebot, und Ihr habt das völlig vergessen,

                  Heinrich!
Georg:       Welches, Eure Majestät?
Katharina: Wenn zwei Brüder zusammen wohnen und der eine von ihnen stirbt und keinen Sohn

                  hat, soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes auswärts wer-

                  den. Ihr Schwager soll sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwagerehe mit ihr

                  vollziehen. Der erste Sohn, den sie gebiert, soll den Namen des verstorbenen Bruders

                  weiterführen. So soll dessen Name in Israel nicht erlöschen.

Heinrich (schreit):

                  Das gilt nur für die Juden!
Katharina
(liest auswendig weiter aus der Bibel):

                  Wenn der Mann aber seine Schwägerin nicht heiraten will und seine Schwägerin zu den

                  Ältesten ans Tor hinaufgeht und sagt: Mein Schwager will dem Namen seines Bruders in

                  Israel keinen Bestand sichern und hat es deshalb abgelehnt, mit mir die Schwagerehe

                  einzugehen, wenn die Ältesten seiner Stadt ihn dann vorladen und zur Rede stellen, er

                  aber bei seiner Haltung bleibt und erklärt: Ich will sie nicht heiraten!, dann soll seine

                  Schwägerin vor den Augen der Ältesten zu ihm hintreten, ihm den Schuh vom Fuß zie-

                  hen, ihm ins Gesicht spucken und ausrufen: So behandelt man einen, der seinem Bruder

                  das Haus nicht baut. Ihm soll man in Israel den Namen geben: Barfüßerhaus.

Heinrich:   Die theologischen Fakultäten der Universitäten Sorbonne, Orleans, Angers, Bourges,

                  Toulouse, Padua, Ferrara, Pavia, Bologna, insgesamt elf an der Zahl, sind bei der Ana-

                   lyse dieses theologischen Streits zum Schluss gekommen, dass unsere Ehe den bibli-

                   schen Vorschriften widerspricht.
Katharina:  Das sind die Universitäten, wo Ihr zuerst die Dekane eingeschüchtert und dann deren

                   Stimmen gekauft haben. Und das, nachdem wir achtzehn Jahre in der Ehe gelebt haben.

                   Gott, was für eine Schande!
Georg:        Unerhört.
Heinrich
(wendet sich an den Arzt):

                   Halt den Mund und misch Dich nicht in unseren Streit ein.  
Georg:        Steht Ihr jetzt nicht tatsächlich nur mit einer Sandale vor mir, mein Herr?
Heinrich:    Wie wagst Du es, Sklave! Steh auf, wenn Du mit dem König redest!
Georg
(bleibt sitzen):

                   Mir war das Recht gegeben, in Anwesenheit des Königs zu sitzen.
Heinrich:    Ich schwöre bei unserem Herrn, dass Du dieses Recht nicht lange genießen wirst. Dir

                   bleibt nur noch eine Nacht, Du Protestant.
Georg:        Aber dafür was für eine, Eure Majestät! Immerhin kann ich offen und ehrlich mit dem

                   König von England sprechen, was ich über ihn und seine Regentschaft denke, ohne

                   Angst um mein Leben zu haben, zumindest nicht in diesen wenigen Stunden.
Heinrich:    Du wirst Deine Worte noch lange bereuen. Ich habe noch nie jemandem Beleidigungen

                   verziehen.
Katharina:  Vergib ihm, Heinrich. Denn er ist der Einzige, der zur Verteidigung Eurer Königin

                   auftrat.
Heinrich:   Du bist nicht die Königin, sondern die verwitwete Prinzessin von Wales. Nach weltli-

                  chem und kirchlichem Recht.
Katharina: Ihr redet so viel über die Gebote Gottes, Eure Majestät, dass Ihr völlig vergessen habt,

                  die eheliche Treue zu erwähnen. Ich stolze Spanierin musste mich mit Euren vielen

                  Mätressen abfinden, die mich nur ausgelacht haben. Nun, vergessen wir das. Meine

                  einzige Sorge ist jetzt nur, dass der Charme unsterblichen Ruhms von Alexander dem

                  Großen und Cäsar meinen König mehr bezaubert als die Dornenkrone Christi. Wie viel

                  Leid ist um Euch herum, Eure Majestät!  
Heinrich:   Das bin nicht ich. Dafür sind meine Minister verantwortlich, deshalb habe ich ihnen Mal

                  für Mal den Kopf abgehackt.Wenn ich mehr Zeit im Sattel als im Sitzungssaal des Kron-

                  rats verbracht habe, dann nicht nur deswegen, weil ich das Vergnügen der Arbeit vorge-

                  zogen habe, sondern auch, weil es notwendig für das Ansehen bei meinen Untertanen

                  war. Ein König, der durch das Land galoppiert und dreißig Meilen am Tag zurücklegt,

                  ist mehr nach ihrem Geschmack als ein König, der am Tisch des Kronrats sitzt. Außer-

                  dem ist es politisch gesehen von Vorteil, sich von der Regierung eher zu distanzieren.

                  Wenn unpopuläre Maßnahmen getroffen, Fehler gemacht und Menschen ungerecht be-

                  handelt werden, dann ist es nicht die Schuld des Königs, denn der König war bei der

                  Jagd. Die Schuld liegt dann allein bei den verhassten Ministern, Emporkömmlingen, die

                  in Abwesenheit des Königs das Land regieren. Wenn der König von der Jagd zurückkam

                  und merkte, was sie vorhatten, würde er sie bestrafen und seinen Untertanen Gerechtig-

                  keit widerfahren lassen.
Katharina: Nun, natürlich verbreitet das Volk die Legende über Euch, dass der König nicht im kö-

                  niglichen Rat tagt, sondern auf der Jagd im Sattel 30 Meilen am Tag zubringt und dabei

                  oft das Pferd wechselt. Und nachts verbringt er viel Zeit mit Liebesaffären. Nein, nicht

                  er ist es, sondern seine Minister, die Emporkömmlinge beschließen unpopuläre Gesetze

                  und Ihr habt keine Schuld daran, weil der König ....
Georg:       Weil der König auf der Jagd ist. Das also ist Eure Politik. Nämlich die Schuld einem an-

                  deren aufzuerlegen.
Katharina: Wofür haben Sie Kardinal Wolsey in den Tower eingesperrt?
Heinrich:   Für die Tatsache, dass er päpstlicher Legat war und damit gegen das Gesetz der königli-

                  chen Vorherrschaft verstoßen hat.
Katharina:  Aber Sie selbst haben den Papst um dieses Amt für den Kardinal gebeten und ihn damit

                   auch bestraft.
Heinrich:    Wolsey hat seine Macht als päpstlicher Legat in Heinrichs Reich ausgenutzt und da-

                   durch der königlichen Autorität geschadet. England ist das Gesetz, und jeder, der es

                   verletzt, wird dafür verantwortlich gemacht.
Georg:        Auch der König?
Heinrich:    Der König ist nur dem Allmächtigen verpflichtet und sonst niemandem.
Katharina:  Wissen Sie, was Wolsey im Sterben gesagt hat?
Heinrich:    Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen.
Katharina:   "Hätte ich Gott so fleißig gedient, wie ich dem König gedient habe", sagte Wolsey, "so

                    hätte er mich jetzt nicht als grauhaarigen alten Mann einsam fallen lassen."  
Heinrich
(sich rechtfertigend):

                    Ich schickte ihm meinen Ring!
Georg:         Einen Ring?

Katharina:   In England gibt es einen alten Brauch, dass, wenn der Monarch seinem Untergebenen

                    einen Ring schenkt, so hat niemand das Recht, ihn eher zu richten, als dass es der Kö-

                    nig selbst oder sein Kammerherr tut.
Heinrich:     Ich habe ihn aber nicht verurteilt!
Katharina:   Das ist die reine Wahrheit, Eure Majestät. Sie ließen ihn im Tower sterben.
Georg:         Wahrlich, das ist die königliche Gnade.
Katharina:   Und wofür haben Sie Ihren folgenden Lordkanzler Sir Thomas More gerichtet?
Heinrich:     Er weigerte sich, auf mich und Anne Boleyn die Treue zu schwören.
Katharina:   Ich erkenne meinen König nicht wieder. Wo ist er denn, mein weiser und guter König,

                    den ich einst kannte, liebte und verehrte? Den ich höher als andere setzte. Es scheint

                    mir, dass er längst gestorben ist.
Georg:         Und Sie sind folglich auch durch die Hand Heinrichs umgekommen?
Katharina
(schaut angestrengt auf den König):

                    Es laufen Gerüchte um, dass ich vergiftet wurde. Aber glaubt dem nicht. Nur einmal

                    bin ich vom Kampf mit all dem Elend ermüdet, das aus irgendeinem Grund immer nur

                    meinen armen Kopf fand. Zuerst der Tod der Kinder, dann die vielen Seitensprünge

                    meines Mannes und schließlich diese ganze Farce mit der Scheidung. Aber auch das

                    war diesem König noch nicht genug, denn er hat mich von meiner Tochter getrennt.

                    Dies war der letzte Tropfen Gift, der mir den Garaus gemacht hat. Genau in dem Mo-

                    ment habe ich beschlossen, zu sterben. Ich schloss meine Augen und machte sie nie

                    mehr auf.

Heinrich schweigt und setzt sich müde auf einen Stuhl.

Heinrich:     Nun, was schweigst Du, Protestant? Ich erwarte Dein Urteil.
Georg:         Wie die Bibel sagt: "Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet."
Heinrich:     Du schwatzt viel. Wofür bezahle ich Dich? Wenn Du Arzt bist, dann heile meinen

                    Körper und die Seele überlasse den Priestern.

Der Leibarzt untersucht das Bein des Königs, trägt etwas Salbe auf und verbindet das Bein.

Georg:         Für Sie, Eure Majestät, ist jederlei Belastung jetzt fehl am Platze, und trotzdem seid Ihr

                    die ganze Zeit auf den Beinen. Ich fürchte, wenn Ihr meinen Rat nicht beherzigt, dann

                    wird sich die Wunde öffnen.

Heinrich schläft scheinbar ein, nur ein kaum hörbares Stöhnen ist zu vernehmen.

Katharina:   Ist es gefährlich?
Georg:         Ich fürchte, ja.
Katharina:   Retten Sie meinen Heinrich. Vielleicht sollte er liegen?
Heinrich
(kommt zu sich):

                    Nur nicht das. Ich verbringe lieber diese Nacht auf dem Stuhl, aber ins Bett lege ich

                    mich nicht.

Katharina lehnt sich an den Rücken des Königs und umarmt seinen Kopf.

Katharina:   Mein armer König!
Heinrich
(spricht leise):

                    Das ist so, weil nach Dir keine echte Königin mehr kam.
Katharina:   Was für ein herrschaftliches Aussehen Du früher hattest, das schöne Gesicht, die gött-

                    lichen Proportionen des Körpers, die fürstliche Haltung, alle edlen Qualitäten einer

                    königlichen Abstammung. Erinnere Dich, wie Sir Robert Dimock nach unserer

                    Krönung in der Westminster Abbey in voller Rüstung auf dem Pferd in den Bankettsaal

                    ritt und jeden, unabhängig von Rang oder Status, der zu behaupten oder zu beweisen

                    sich erdreistete, König Heinrich VIII. sei nicht der rechtmäßige Erbe und König dieses

                    Reiches, zu einem Kampf auf Leben und Tod herausforderte, um die Tatsache, dass

                    Heinrich VIII. legitimer Thronfolger ist, und den wahren König des Reiches

                    anzuerkennen. Nun, was schweigst Du denn? Sicherlich hast Du alles vergessen!
Heinrich:    Dieser Sir Dimock ist ein schlauer Fuchs. Er hat diese Zeremonie schon zweimal

                   abgehalten. Einmal bei der Krönung von Richard III., und zwei Jahre später bei der

                   Krönung des Mannes, der in der Folge Richard besiegte und tötete. (Pause) Wie lange

                   ist das schon her! Schade, dass alles vorbei ist.
Katharina: Du hast recht ... alles ist vorbei. Alles Königliche und alles Menschliche
(geht weg).
Georg:       Mir schien, Eure Majestät, dass Katharina von Aragón, Eure erste Frau, Euch bis heute

                  liebt. Nur wofür?
Heinrich:   Eine erstaunliche Frau, und vermutlich wäre ich mit ihr mein ganzes Leben lang glück-

                  lich gewesen, wenn sie mir einen Erben geschenkt hätte, und wenn ...
Georg:       Was, wenn?
Heinrich
(lächelnd):

                  Wenn ich Anne nicht getroffen hätte!
Georg:       Die ganze Zeit, Eure Majestät, wiederholen Sie diesen Namen. Bedeutet Sie Ihnen

                  wirklich so viel?
Heinrich:   Eben mit ihr begann für mich und ganz England eine neue Ära voller Hoffnung, Liebe

                  und Glaube ... eines neuen Glaubens, der das Aussehen des guten und alten Englands für

                  immer veränderte. Ich gestehe, dass ich nur ein einfacher Ausführender, der Diener für

                  die Wünsche meiner Anne war. Nur um ihretwillen und wegen ihrer Launen regierte ich

                  mein Reich.
Georg
(schaut in Richtung des letzten Schattens):

                  Aber warum kommt er nicht zu uns?
Heinrich:   Sie ist zu stolz, um selbst zu kommen. Irgendwann vor langer Zeit habe ich eine Gabe

                  als Zeichen meiner Liebe zu ihr gebracht, aber sie weigerte sich, es anzunehmen.

                  Dann, beim nächsten Mal, habe ich beschlossen, ihr ein wahrhaft königliches Geschenk

                  zu machen, aber auch das erweichte ihr Herz nicht. Niemals in der Geschichte Englands

                  hat ein Untergebener keine solch unerhörten Beleidigungen seiner Majestät

                  vorgebracht, und das ungeachtet seiner Geschenke. Nun, vielleicht erlaubst auch Du Dir

                  noch, mit Deinem Monarchen so frei zu sprechen.
Georg:       Entschuldigt mich, Eure Majestät.
Heinrich
(erzählt weiter):

                  Erfüllt von Liebe und Eifersucht habe ich mich entschieden, selbst zu Anne zu gehen

                  und eine Antwort zu fordern, was ihr nicht passte an diesen Gaben, die ich ihr schenkte.

                  Aber sie lächelte mich nur an und sagte stolz: "Ich habe endlich das Geschenk, das mir

                  lieber ist als alles andere auf der Welt." Nach diesen Worten umarmte und küsste mich

                  Anne.
Georg:       Anne Boleyn, Ihre zweite Frau?
Heinrich:   Sie ist die Königin meines Herzens. Wenn Du Deinem König etwas Angenehmes tun

                  möchtest, und dass er Dir vergibt, dann geh zu ihr und bitte sie, zu mir zu kommen. Ich

                  warte so lange bereits auf sie. Sage Anne, dass nur mein krankes Bein mir nicht die

                  Möglichkeit gibt, sie selbst darum zu bitten.
Georg:       Ja, Eure Majestät.

Georg geht zum vierten Schatten, und spricht lange Zeit mit ihm. Doch am Ende kommt er allein  zum König zurück.

Heinrich: Du bist allein?
Georg:     Sie weigerte sich, zu Euch zu kommen, Majestät.
Heinrich: Warum?
Georg:     Das kann ich vermutlich nicht wissen. Sie hat Ihnen für die Einladung gedankt und

                wünschte Eurer Majestät eine baldige Genesung.
Heinrich: Und was hast Du ihr gesagt? Warst Du zu ihr höflich genug? Sie ist doch so verletzlich.
Georg:     Ich habe nur Eure Bitte wiederholt, ohne mit Komplimenten um mich zu werfen. Aber ich

                weiß nicht, ob ich es sagen darf.
Heinrich: Nun, sag schon, was zögerst Du.
Georg:     Mir schien, sie war nicht sehr froh, als ich sie Eure Königin genannt habe. Umso mehr sie

                eine seltsame Wendung benutzte...
Heinrich
(ungeduldig):

                So, was kam aus ihrem zarten Mund?
Georg:     Anne Boleyn sagte, dass der Titel der Königin von England nach ihrer Hinrichtung ent-

                wertet ist.
Heinrich: Dann gehe zu ihr und bitte sie, zu mir nicht als Königin zu kommen, sondern als meine

                geliebte Frau.

Huber kommt der Bitte des Königs nach, aber wieder ohne Erfolg.

Heinrich
(sich einschmeichelnd):

                Was hat diesmal nicht gepasst?
Georg:     Sie antwortete, dass es besser ist, Geliebte des Königs als seine geliebte Frau zu sein.
Heinrich: Hierin ist sie ganz Anne. Jede Handlung, jedes Wort, das allen Frauen auf der Erde

                genügen würde, ist ihr nicht genug.
Georg:     Es scheint mir, dass sie von Ihnen andere Worte erwartet!
Heinrich: Das habe ich schon verstanden, aber welche?
(Pause) Ach, nun ja, wie konnte ich es

                vergessen. Geh wieder zu ihr und sage, dass der König seine Marquis Pembroke sehen

                will.

Georg:     Ich verstehe nicht, über wen Sie jetzt reden, Eure Majestät, aber es ist an der Zeit, um die

                endgültige Wahl zu treffen, ob Sie Anne Boleyn oder doch Marquis Pembroke sehen

                wollen?
Heinrich: Du Narr. Anne Boleyn und Marquis Pembroke - beides ist sie. Diesen Titel habe ich ihr

                vor unserer Hochzeit und Krönung geschenkt. Nun, was wartest Du noch. Geh schon zu

                ihr, stelle Dich auf die Knie und bettle, aber komme nicht ohne sie zurück, wenn Dir das

                Leben etwas wert ist.
Georg:     Ich bin noch immer der Arzt Eurer Majestät, nicht der Bote. Und ich brauche wenigstens

                etwas Zeit, darüber nachzudenken, wie ich Euch und mir helfen kann, um meinen Kopf

                zu behalten. (ironisch) Ich schätze ihn als nicht gerade überflüssiges Detail für den

                Menschen...
Heinrich: Denke also schneller und bring sie zu mir.

Huber geht und kehrt unverrichteter Dinge wieder zurück.

Georg:     Alles ist nicht gerade einfach in menschlichen Beziehungen, hier jedoch muss ich mich

                mit einem Geist auseinandersetzen. Dazu mit einem weiblichen, einem sturen, wie ich ihn

                noch nicht kannte.  
Heinrich: Was meinte denn Marquise auf meine Bitte, sie zu sehen?
Georg:     Sie hat mich wie einen kleinen Jungen gescholten und erklärte, dass Sie in nur wenigen

                Tagen £ 1.024, 13 Schillinge und zwei Pence zurückbekommen werden.
Heinrich: Was für zwei Pence? Willst Du Dich über den König lustig machen ?
Georg:     Danach steht mir nicht der Sinn. Ich gebe Euch nur die Worte von Marquise Pembroke

                wieder. Denn das ist die Summe, die ihr Titel dem Fiskus gekostet hat.
Heinrich: Alles ist verloren! Jetzt verzeiht sie mir um nichts auf der Welt. Aber vielleicht ...
Georg:     Ich sage Euch doch, dass ich machtlos bin, sie zu überreden. Geht, Eure Majestät ... und

                werdet Euch selbst einig. Ich aber werde hier an Ort und Stelle verharren.  

Der Arzt und der König, verstrickt in leidenschaftlicher Auseinandersetzung, bemerken gar nicht, wie der vierte Schatten bereits neben ihnen steht.

Heinrich: Ich befehle Dir noch einmal, zu Anne mit der höflichsten Anfrage zu gehen.
Georg:     Es ist sinnlos, Eure Majestät. Es ist besser, mich zu bestrafen.
Heinrich: Das zu tun ist nie zu spät.
Georg:     Auch wenn Ihr mich meines Kopfes entledigt, wird Marquis trotzdem keinen Zoll in Eure

                Richtung tun, wenn Sie es selbst nicht will.
Anne
(spricht plötzlich):

                Siehst Du, Heinrich, es stellt sich heraus, dass Dein Arzt mich besser kennt als du!
Heinrich
(begeistert):

                Anna! Du bist gekommen!
Anne:      Ich komme nur nach meinem eigenen Willen, und nur zu dem, der meiner Aufmerksam-

                keit wert ist.
Heinrich: Ich freue mich so über Dich.

Anne wirft die schwarze Mönchskutte von sich, und erscheint in einem prächtigen weißen Kleid. Selbst das Licht im Schlafgemach des Königs beginnt scheinbar greller zu brennen.

Georg:     Wie schön sie ist! Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen.
Heinrich: Schau nicht auf sie. Sie ist meine ... meine ... meine.
Anne:       Mein König ist eifersüchtig auf mich!
Heinrich: Dein treuer Diener liebt dich, wie früher auch.
Anne:       Er liebt und hasst.
Heinrich: Rede nicht so. Du bist das Beste, was in meinem Leben passiert ist.
Anne:       Möge es sein, wie Du sagst. Aber ich glaube Dir trotzdem nicht.
Heinrich:  Aber Anna ...
Anne:       Ich weiß, Heinrich, dass Du mich wieder verrätst, so wie das übrigens schon passiert ist.
Heinrich: Nie wieder ... niemals. Ich schwöre es Dir.
Anne:       Wie Du Dich verändert hast, Heinrich. Ich erkenne Dich gar nicht wieder.
Heinrich
(stolz):

                 Ich bin der König von England, Frankreich und Irland. Hier, auch Georg kann meine

                 Worte bestätigen.

Huber bestätigt mit einem Kopfnicken die Worte von Heinrich VIII.

Anne:       Ja, bist Du es?
Heinrich
(kleinlaut):

                 Ich bin stark gealtert, die Jahre fordern ihren Tribut, aber Du bist genauso jung und

                 schön. Wie gelingt Dir das? Hast Du das Elixier ewiger Schönheit erfunden?
Anne:       Das ist alles Dir zu verdanken, Heinrich. Du hast mich getötet, und die Zeit ist für mich

                 angehalten. Sie hat jetzt keine Macht über mich. Das ist also Dein Elixier mit dem

                 zauberhaften Namen Tod.
Heinrich:  So hat er befohlen, auch Sie zu töten?
Anne:       Leider, oder vielleicht zum Glück.
Heinrich:  Es war ein fataler Fehler, den ich so sehr und oft bedauert habe, war aber unfähig, es zu

                 korrigieren. Ach, wenn man doch nochmal neu anfangen könnte im Leben oder

                 wenigstens einige Jahre zurückholen könnte. Ich würde nichts bereuen … Ich will mich

                 nicht mehr von Dir trennen ... meine Anna.
Anne:       Deine?
Heinrich: Meine. Und von niemandem weiter.
Anne:       Also würdest du alles für mich tun?
Heinrich: Alles, was Du wünschst. Bitte und ich führe aus, was in den Kräften eines Menschen und

                Königs steht.  
Anne
(nach einigem Zögern):

                Dann lass uns tanzen.
Heinrich: Tanzen?
Georg:     Tanzen?
Anne:      Ja, ich liebe es, zu tanzen.
Heinrich
(mit Tränen in den Augen):

                Mein Mädchen ... aber ich kann nicht.
Anne:       Aber Du hast es doch versprochen.
Heinrich: Ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Aber keine Sorge, meine Liebe. Ich versuche

                ...

Der König erhebt sich mit Mühe von seinem Stuhl, der Arzt hilft ihm dabei, er führt ihn zu Anne Boleyn, und dann erschallt Musik. Heinrich und Anne tanzen, aber der alte Mann hält mit der jungen und zierlichen Frau nicht Schritt. Ihre Bewegungen sind nicht synchron, der König gerät hin und wieder aus dem Takt. Georg schmerzt es, den Alten zu sehen, wie er mit letzter Anstrengung versucht, Schritt zu halten mit der Jugend. Alsbald bittet Heinrich Georg, ihn zu ersetzen. Der Arzt und die Königin tanzen zusammen. Der König beobachtet Anne fasziniert. Allmählich klingt die Musik aus.

Anne:      Ich will weiter tanzen!
Heinrich: Genug, Anne. Habe Mitleid mit mir. Ich kann nicht sehen, wie Du mit einem anderen

                tanzt.
Anne
(geht zu Heinrich):

                Aber beim Ball muss man tanzen.
Heinrich: Was ist das für ein Ball, wenn ein lahmer alter Mann, ein Jüngling ohne Bart und Du die

                Gesellschaft sind!
Anne:      Bist Du schon wieder eifersüchtig? Ach, was war das für ein fantastischer Ball in Calais!

                An einem Sonntagabend fand der Ball statt. Sieben maskierte Damen betraten den Saal

                und forderten Franz und die Adligen seines Gefolges zum Tanz auf. Während sie tanzten,

                hast Du, Heinrich, den Damen die Masken vom Gesicht gerissen. Sie entpuppten sich als

                Lady Mary Howard, Lady Derby, Lady Fitzwalter, Lady Rochford, Lady Lisle, Lady

                Wallop und nicht zuletzt ich selbst. Ich glaube, meine Schönheit hat alle anderen in den

                Schatten gestellt. Und dann habe ich noch eine ganze Stunde mit Franz getanzt.
Heinrich: Ich wünschte, ich könnte diesen Tag vergessen.
Anne:       Aber warum, Heinrich?
Heinrich: Du hast eine Stunde mit dem König von Frankreich getanzt.
Anne:       Aber Du hast mich doch selbst darum gebeten. Du hast gesagt, dass das Politik ist und so

                sein muss.
Heinrich: Aber nicht eine Stunde zu tanzen und mit ihm zu flirten. Das ist keine Politik - das ist

                Verrat.
Anne:      Willst Du mich wieder umbringen?
Heinrich: Wage es nicht, so zu reden. Du tust mir weh. Nur das öffentliche Interesse hat mich ge-

                zwungen, ein Todesurteil gegen Dich zu verhängen.
Anne:      Du siehst in allem Verrat.
Heinrich: Ich habe Dich aufmerksam beobachtet und sah, wie Franz Dir etwas ins Ohr flüsterte.

                Willst Du mir nicht sagen, was genau?
Anne:       Ich kann Dir das nicht sagen.
Heinrich:  Siehst Du, das bedeutet, dass Du zu Recht verurteilt worden bist. Es ist noch nicht zu

                 spät. Sprich, was hat er euch gesagt?
Anne:       Nein. Das wirst Du von mir niemals erfahren.
Heinrich:  Wachen! Wachen!

Wiederum kommen ein Offizier und Wachen ins Schlafzimmer des Königs.

Heinrich: Nehmen Sie die Königin und werfen Sie sie in den
Tower.
Offizier:  Die Königin?
Heinrich: Ja.
Offizier:  Wird ausgeführt, Eure Majestät!

 

Der Offizier geht in die Zimmer der Königin.


Georg
(spricht leise zum König):

                Wir müssen sie aufhalten. Denn sie werden die jetzige Königin verhaften.
Heinrich: Vielleicht hast Du recht! Ich befehle der Wache, Anne Boleyn im Tower festzusetzen!
Offizier:   Aber das ist unmöglich, Majestät.
Heinrich: Was hast Du gesagt?
Offizier:   Anne Boleyn ist geköpft.

Anne steht neben dem König und lacht ihm absichtlich ins Gesicht. Der König ist verwirrt und sieht Georg flehend an.

Georg
(rechtfertigt Heinrich):

                 Der König hatte einen schrecklichen Traum, und er ist immer noch unter seinem Ein-

                 fluss. Sagen Sie, Offizier, ist das Gericht über Anne Boleyn schon vorüber?
Offizier:   Seit zehn Jahren.
Heinrich:  Warum sehe ich sie dann vor mir: lebendig und gesund?
Offizier
(konsterniert):

                 Lebendig ... gesund?
Georg
(bittet die Wache mit einem Wink zu gehen):

                 Gehen Sie. Der König muss allein gelassen werden. Er ist noch nicht ganz zu sich

                 gekommen.

Der Offizier wartet umsichtig auf den Befehl des Königs, aber ohne ihn zu erhalten, folgt er der Anweisung des Arztes.

Heinrich:  Warum schaust Du mich so an, Anne?
Anne:       Wie: „so“?
Heinrich:  In Deinen Augen sehe ich nur Verachtung für mich.
Anne:       Ist es wirklich nur Verachtung, mein König?
Heinrich:  Zerreiß mir nicht mein Herz, Anna. Sei großzügig mit mir Altem.
Anne:       Was möchtest Du denn?
Heinrich:  Ich will wissen, was Dir Franz die ganze Stunde zugeflüstert hat, und Du hast ihm die

                 ganze Zeit zugelächelt.
Anne:       Nichts von dem, was Deinen Geheimen Rat interessieren könnte. Da war keinerlei Ver-

                 schwörung.
Heinrich:  Ich werde entscheiden, ob das ein Verrat war oder nicht.
Anne:       Du bist nicht zu ertragen, Heinrich.
(Pause) Soll es so sein, wie Du willst. Frank sagte

                 immer zu mir, dass er mich geheiratet hätte, wenn ich nicht verheiratet gewesen wäre.
Heinrich:  Ich wusste es. Nicht einem einzigen Franzosen kann man vertrauen.
Anne:       Und das sagst Du, der die ganze Zeit Franz seiner ewigen Freundschaft versichert hat

                 und stets gegen ihn eine feindliche Allianz geschmiedet hat. Wie viele Male hast Du mit

                 Feuer und Schwert dieses Land ruiniert, und bis auf den heutigen Tag fürchten sich in

                 Frankreich die Kinder und singen Lieder über den grausamen und heimtückischen König

                 von England, der nur Unglück bringt.
Heinrich:  Ich bin der König, und jeder meiner Untertanen ist verpflichtet, mir zu gehorchen, denn

                 Gott herrscht in allen Ländern über die Könige und die Regenten. Und wer immer sich

                 ihnen widersetzt, widersetzt sich Gott und soll verdammt sein ...

Georg:      Und das sogar, wenn der König selbst der größte Tyrann der Welt war?
Heinrich:  Auch wenn der König ein Despot war, so ist er für Euch ein großer Segen Gottes, für den  

                 Ihr von ganzem Herzen Gott dankbar sein sollt. Der König kann Richtiges und Falsches

                 tun, aber er ist nur Gott allein rechenschaftspflichtig. ein. Das ist Gottes Gebot, sich sei-

                 nem König unterzuordnen.
Anne:       Und das menschliche Gewissen hast Du ganz vergessen?
Heinrich: Du hast Dich doch an den französischen König verkauft! Du hast mich mit ihm betrogen.
Anne:       Ja.
Heinrich: Hast Du gehört, Georg, sie selbst hat es zugegeben, dass sie mit dem französischen König

                Ehebruch begangen hat. Für so etwas wird man auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

                Wachen! Wachen!
Georg:     Wir brauchen keine Wachen, mein Gebieter. Sollen sie ruhig ein Nickerchen machen, we-

                nigstens eine halbe Stunde.
Heinrich: Aber Anne war mir doch untreu.
Georg:     Was soll's. Schließlich hat sie Euch mit Ihnen verraten.
Heinrich: Wie kann das sein?
Georg:     Majestät sind der König nicht nur von Großbritannien und Irland, sondern auch von

                Frankreich.
Heinrich: Oh, das ist es! Diese heimtückische Protestantin hat mich wieder an der Nase herumge-

                führt.
Anne:      Ja. Ich bin eine Protestantin. Die Katholiken behaupteten sogar, dass ich an der Hand

                nicht fünf, sondern sechs Finger habe wie der Teufel.

 

Sie streift einen Handschuh ab.

 

                Jetzt schauen wir mal nach: Eins, zwei, drei, vier, fünf. Schade, es sind bloß fünf.
Heinrich: Erlaube mir, sie zu küssen.
Anne:      Was, Du wirst die Hand einer heimtückischen Protestantin küssen, die nach Deinen

                Worten vom französischen König ausgehalten wird?!
Heinrich: Ich werde es. Mir ist es egal. Ich möchte sie küssen.
(küsst sie) Meine schönen, schlanken

                Finger. Ich werde von ihnen einen Gipsabdruck nehmen, damit alle sehen, über welchen

                Reichtum Heinrich VIII, der König von England, Frankreich und Irland, verfügt.
Anne:      Nicht besitzt, sondern besaß.
Heinrich: Du machst mich verrückt! Deinetwegen habe ich dieses Land gespalten, habe mich vom

                wahren Glauben abgewandt, mich von meiner edlen und guten Frau scheiden lassen. Aber

                ich schwöre Dir, ich bin bereit, das noch tausendmal zu tun, um Vergebung von Dir zu be-

                kommen. Womit kann ich Deine Gunst erlangen?
Anne:      Lies Deine Briefe an mich vor.
Heinrich: Briefe?! Ich erinnere mich an alle und kenne sie auswendig. Welchen von ihnen?
Anne:      Welchen Du willst.
Heinrich: Vielleicht den, als Du mich und den Hof verlassen und Dich auf Deinem Anwesen einge-

                schlossen hast:

                "Meine Herrin und Freundin, ich und mein Herz geben sich in Eure Hände und bitten

                Euch, uns Eurer Gunst zu empfehlen und in Eurer Zuneigung zu uns nicht durch die

                Trennung nachzulassen. Es wäre gar zu grausam, unseren Kummer noch zu vergrößern,

                den Eure Abwesenheit uns schon genug bereitet.

                Es enttäuscht mich sehr, dass ich zum Lohn für meine große Liebe von dem einen Wesen

                getrennt sein soll, das ich auf der ganzen Welt am höchsten schätze. Und wenn Ihr mir

                soviel Zuneigung entgegenbringt, wie ich hoffe, bin ich sicher, dass auch Euch unsere

                Trennung ein wenig Kummer bereitet, obwohl das eher dem Diener als der Herrin zu-

                kommt. Bedenket wohl, meine Herrin, wie sehr mich Eure Abwesenheit grämt. Ich hoffe,

                Ihr wollt nicht, dass dem so sei. Sollte sich aber erweisen, dass diese Trennung Euer eige-

                ner Wunsch ist, bleibt mir freilich nichts anderes übrig, als mein Schicksal zu beklagen

                und zu versuchen, meine wilde, törichte Leidenschaft zu bezähmen. Ich bitte Euch daher

                von ganzem Herzen, mir, was die Liebe zwischen uns beiden angeht, Eure ganze Absicht

                kundzutun. Diese Antwort zu verlangen zwingt mich die Notwendigkeit, da ich seit über

                einem Jahr vom Pfeil der Liebe verwundet bin und nicht weiß, ob ich scheitern oder einen

                Platz in Eurem Herzen und Eurer Liebe finden werde. Die Ungewissheit hat mich in

                letzter Zeit abgehalten, Euch meine Herrin zu nennen, wenn Ihr denn nur gewöhnliche

                Zuneigung zu mir empfindet. Wenn Ihr mir aber eine wirklich getreue Gebieterin und

                Freundin sein und Euch mit Leib und Seele mir schenken wolltet, der ich Euer sehr ge-

                treuer Diener gewesen bin und sein werde (wenn Eure Hartherzigkeit es nicht verbietet),

                so verspreche ich Euch, dass Ihr nicht nur dem Namen nach eine Herrin sein sollt, son-  

                dern dass ich Euch zu meiner einzigen Herrin nehmen und alle anderen, die Euch diesen

                Titel streitig machen wollten, aus meinen Gedanken und meiner Zuneigung verbannen

                werde, um nur Euch allein zu dienen. Geschrieben von der Hand dessen, der gerne der

                Eure bleiben möchte. Unabänderlich, H.R.. "
Anne:      Wie traurig.
Heinrich: Aber warum?
Anne:      Weil ich Deine Liebe zu mir überlebte. Ich hätte früher sterben sollen …
Heinrich: Nein, Du hast sie nicht überlebt. Sie war immer an meiner Seite. Wie eine stählerne

                Klinge, die direkt ins Herz gerichtet ist. Ich fühle mich immer eine Leere in mir, weil in

                meinem Leben das Wichtigste nicht da ist, Du bist nicht da ... Komm doch zu mir, meine

                Königin. Setz Dich auf meinen Schoß. Lass mich den frischen Geruch Deines Atems

                spüren, Deinen jungen und schönen Körper spüren, in Deinen schwarzen Haaren verlo-

                ren sein und Deine blauen Augen bewundern. Lass mich meinen Kopf an Deine Brust

                legen.

Anne setzt sich zu Heinrich auf den Schoß.

Heinrich: Meine Frau! Und wie in der Bibel gesagt ist: "Und ein Mann wird seinen Vater und seine

                Mutter verlassen, und er soll fest zu seiner Frau halten, und sie sollen ein Fleisch wer-

                den." (er weint) Wieviel unverbrauchte Zärtlichkeit ist noch in mir! Nun, warum sind die

                Leute so stolz und töricht und öffnen ihr Herz nicht für den, der neben ihnen ist. Denn die

                Stunde des Abschieds ist näher, als Du Dir das vorstellst.
Anne
(umarmt den König):

                Mein Heinrich! Ich will wieder leben.
Heinrich: Du bist meine einzige Königin.

Nach diesen Worten erhebt sich Anne und geht in die Tiefe der Bühne, damit niemand ihre Trä-nen sehen kann.

Heinrich: Glaubst Du mir wieder nicht? Einmal habe ich das ganze Königreich Dir die Treue  

                schwören lassen. Erinnerst Du Dich?
Anne:      Ja.
(Pause) Wie viel Zeit ist seitdem vergangen!
Heinrich: Wenn Du willst, gebe ich wieder einen königlichen Erlass heraus und Deine treuen Unter-

                tanen beugen wiederum ihr stolzes Haupt vor Dir. Georg, komm näher zu mir und sprich

                mir nach.

 

Georg führt die Anweisung des Königs aus und spricht Heinrich nach.

 

Heinrich: Ich, Heinrich Tudor ...

Georg:     Ich, Georg Huber …

Heinrich: lege das Gelübde und Versprechen ab, nur dem König und sonst niemandem in diesem

                Reich, und nicht irgendeiner anderen Macht oder einem fremden Fürsten oder Herrn zu

                dienen und die Ehe des Königs mit Anne als gesetzesgemäß anzuerkennen und schwören

                die Treue. Weiterhin erkenne ich alle Gesetze an, die vom Parlament seit 1529 verab-

                schiedet worden sind und verpflichte mich, sie widerspruchslos auszuführen.

Der König geht auf die Knie, ihm folgt Georg und sie sprechen gemeinsam den Treueeid auf die Königin Anne von England.

 
Heinrich: Ich schwöre und küsse das Kreuz.
Georg:     Ich schwöre und küsse das Kreuz.
Anne:      Erzähle, Heinrich, hasst man mich wie früher und nennt mich „Englische Messolina“?
Heinrich: Jeder, der das tut, wird hingerichtet.
Anne:       Es werden keine weiteren Hinrichtungen benötigt, Heinrich. Ich bitte Dich. Beantworte

                 mir nur diese eine Frage. Aber ich brauche keine großmütige Lüge. Sage die Wahrheit.

                 (Heinrich schweigt, Anne seufzt tief) Danke, dass Du nicht gelogen hast. Ich dachte,

                 dass ich wenigstens auch nach meinem Tod von meinem Volk geliebt werde, aber dieses

                 Wunder ist nicht geschehen. Du bist an allem schuld!
Heinrich:  Ich?
Anne:       Deine neue Leidenschaft Johanna Seymour. Warum hast Du befohlen, meinen Bruder

                 hinzurichten und ihn und mich des Inzests zu beschuldigen? Warum hast Du drei Lieb-

                 haber getötet, die ich nie hatte? Du  hast meine Ehre geschändet.
Heinrich:  Du hast doch mit ihnen eine Verschwörung gegen mich vorbereitet!
Anne:       Du bist krank, Heinrich. Schwer krank. Du vertraust niemandem, und dafür zahlen wir

                 alle den Preis. Ganz England ist mit Schafotten, Galgen und Marterpfählen übersät. Der

                 Geruch von verbranntem Menschenfleisch weht über allem.
Heinrich:  Das ist nicht wahr. Nie zuvor gab es in England einen solch guten und gerechten König.
Anne:       In was hast Du Dein armes Königreich verwandelt?
Heinrich
(im Zorn):

                 Wache!  

Ein Offizier und zwei Wachen eilen in das Schlafzimmer des Königs.

Heinrich:  Diese Protestantin fortbringen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen!

Der Offizier steht konsterniert in der Mitte des Raumes.

Anne:      Siehst Du, bereits zum dritten Mal in der letzten Stunde hast Du mir entsagt und das

                heißt, verraten.
Heinrich: Ich?
(Pause) Das heißt, ich habe Dich wieder verraten.
Anne:      Übrigens wusste ich das alles vorher.
Heinrich: Aber Du hast doch Deinen Liebhabern gesagt, dass ich ...
Anne:      Ich hatte keine Liebhaber.
Heinrich: Nein, es gab welche.
Anne:       Jetzt bedaure jetzt, dass es sie nicht wirklich gab.
Heinrich
(beharrt auf seiner Ansicht):

                 Aber Du hattest Ihnen gesagt, dass ich ... impotent bin.
Anne:       Das ist nicht wahr! Ich konnte ihnen so etwas nicht sagen, weil es keine Liebhaber gab.
Heinrich:  Aber Anna, es ist doch wahr.
Anne:       Es ist eine Lüge! Ich schwöre Dir bei meiner Tochter Elizabeth.
Heinrich:  Aber ich bin wirklich schon nicht mehr so stark wie zuvor.
Anne
(lächelt):

                 Ach, wovon Du nicht redest! Aber diese Wahrheit habe ich auch mit niemandem und

                 niemals geteilt.
Heinrich: So weiß niemand, dass der König von England gebrechlich ist?
Anne:      Niemand. Sei beruhigt. Dein Ruhm als König und Liebhaber bleibt nach wie vor unver-

                gänglich.
Heinrich: So, jetzt ich glaube Dir wieder.
Anne:       Und nun sollte ich mich von Dir verabschieden, Heinrich.
Heinrich: Wohin? Weshalb?
Anne:       In den Tower. Ich muss mich auf die morgige Hinrichtung vorbereiten.
Heinrich:  Ich lasse Dich nicht fort.
Anne:       Ich muss morgen gut aussehen.
Heinrich:  Aber Du bist auch so schön.
Anne:       Und ich muss noch beichten und die Vergebung für alle meine Sünden bekommen. In 26

                 Jahren hat sich da viel angehäuft.
Heinrich:  Ich verstehe nicht, wer ein so gnadenloses Urteil über Dich gefällt hat?
Anne:       Ein eitler und grausamer König.
Heinrich:  Sage mir nur seinen Namen, und ich erkläre ihm den Krieg.
Anne:       Kein weiteres Blut mehr, Heinrich. Erst recht nicht wegen mir. Ich will es nicht.
Heinrich:  Dann falle ich vor ihm auf die Knie und werde demütig um Verzeihung für Dich bitten.

                 Ich werde zu seinen Füßen wie ein treuer Hund kriechen. Denn er ist ein großzügiger

                 König, er kann einem alten Mann keinen Wunsch ablehnen, und er wird Dir vergeben.

                 Du solltest ihm ein Gnadengesuch schreiben.
Anne
(fest):

                 Nein.
Heinrich:  Du bist stolz, das weiß ich. Aber was bedeuten diese paar Worte, wenn die Frage Deines

                 Lebens auf dem Spiel steht.
Anne:       Es gibt eine Wahrheit, die wertvoller als das Leben ist. Und der Name für sie ist: meine

                 unbefleckte Ehre.
Heinrich:  Ich glaube Dir, Anne. Und der König wird Dir auch glauben.

Anne:       Nein. Ich kenne diesen Tyrann nur zu gut. Er war ein hungriger Löwe, der einmal den

                 Geruch des Blutes seines Opfers gerochen hat und es sich nicht mehr entgehen lässt.

                 Nein, ich werde nichts schreiben.
Heinrich:  Wie, nichts schreiben? Und ich, was werde ich ohne Dich tun? Hast Du mal an mich ge-

                 dacht?
Anne:       Ich denke immer an Dich. Und Dir bleibt nicht gerade wenig. Du wirst Dich an mich er-

                 innern.
Heinrich:  Vielleicht solltest Du aus dem Tower fliehen. Ich mache Deine Flucht möglich.
Anne
(stolz):

                 Die Königin von England läuft nicht vor der Rechtsprechung davon. Sie selbst sucht und

                 findet diese.
Heinrich:  Dann lass uns zusammen sterben !
Anne:       Und Elizabeth?
Heinrich:  Es gibt niemanden auf dieser Welt außer uns, es gibt nur dich und mich.
Anne:        ... und einen rücksichtslosen König. Aber er wird auch mir gnädig sein, und ich werde

                  nicht auf dem Scheiterhaufen sterben, und nicht von der Axt, sondern vom Schwert …

                  aus dem schärfsten und besten Stahl der Welt. Morgen früh bringt man mich zum

                  Schafott im Innenhof des Towers, wo sich zum Glück nur wenig Volk einfindet. Und ich

                  werde sagen: "Gott möge den König erhalten, dass er lange über Euch regiere, denn

                  niemals hat es einen milderen und gnädigeren König gegeben. Auch mir war er stets ein

                  guter, milder Fürst und Herr." Nur werden meine Hände aus irgendeinem Grund zittern.

                  Diese einzige Freiheit, die der schwache Körper der Königin Anne vor dem starken

                  Geist der Marquise Pembroke erlaubt. Mir will es irgendwie nicht gelingen, diese Kette

                  von meinem Hals zu nehmen. Und der Faden reißt, und die Perlen fallen auf die

                  beschlagenen Bretter wie Tropfen noch nicht vergossenen unschuldigen Blutes.

Heinrich (schreit schrecklich):

                  Nein.
Anne:        Mach Dir keine Sorgen, Heinrich. Könntest Du mir endlich einen kleinen Gefallen tun?

                  Glaube mir, es ist eine Kleinigkeit für Dich.
Heinrich:   Alles, was Du befiehlst ...
Anne:        Ich benötige 20 Pfund.
Heinrich:   Warum ausgerechnet 20 Pfund? Wofür brauchst Du sie?
Anne:        Nicht für mich. Die zwanzig Pfund muss ich meinem Henker, einem Katholiken,

                  bezahlen. Stell Dir vor, mit welchem Hass und Zorn er das Beil fallen lässt. Ich fühle

                  nichts. Nichts.

 
Heinrich gräbt in den Taschen seines Gewandes und gibt Anne die gewünschten zwanzig Pfund.

Anne:        Vielen Dank, Heinrich
(küsst ihn zum Abschied): Leb wohl!

Heinrich versucht, den Saum ihres Kleides zu ergreifen, fällt aber hin. Anne wirft sich die Mönchskutte wieder über und geht langsam weg. Mit jedem Schritt wird das Licht auf der Bühne dunkler.

Heinrich:   Geh nicht. Anna, lass uns zusammen sterben!
Anne:        Es ist spät, Heinrich ... zu spät. Ich bin morgen bereits tot.

Heinrich fällt vor Leiden zu Boden und rauft sich an Haaren und Kleidung. Es vergeht einige Zeit. Der Arzt hilft seinem König, sich vom Boden zu erheben.

Georg:       Hohe Majestät!
Heinrich
(kommt zu sich):

                  Wir müssen Anne retten! Wir müssen ihrem herzlosen König schreiben. Gib mir Papier,

                  Feder und Tinte.
Georg:       Niemandem müssen wir schreiben.
Heinrich:   Bist Du verrückt geworden? Jede Minute zählt jetzt!
Georg:       Ich sage wiederum: Das macht keinen Sinn.
Heinrich:   Warum?
Georg
(gerät aus dem seelischen Gleichgewicht und zerrt die Feder aus der Hand des Königs):    

                  Denn dieser grausame und verräterische König, das sind Eure Majestät höchstselbst.
Heinrich:   Du lügst. Wachen!
(die Wache hört nicht)
Georg:       Wollen Sie mich auch hinrichten? Nun ja, es ist der Morgen gekommen und die Nacht

                  der königlichen Gnade vorbei. Aber bevor Sie gehen, um mich verhaften zu lassen,

                  möchte ich nachfragen: Anne hat ihre Schuld nicht eingestanden, nicht wahr?
Heinrich
(erwidert scharf):  

                  Nein.
Georg:       Dann fällt es mir auch nicht schwer, zu sterben.
Heinrich:   Wachen! Wachen!

Ein Offizier erscheint auf der Bühne.

Heinrich:  Den Schreiber bringen!

 

Es folgt eine Pause, der Schreiber tritt ein.

 

                  Schreibe einen königlichen Erlass. Ich, Heinrich VIII., ernenne Georg Huber zum Lord-

                  kanzler von England, und gewähre ihm und seinen Nachkommen das ewige Recht, in

                  Anwesenheit des Königs zu sitzen.
Georg:       Und wenn eine Königin England regieren wird, bedeutet das denn, Eure Majestät, dass

                  Euer Erlass nicht mehr gültig sein wird?
Heinrich:   Das hat es noch nie in der Geschichte Englands gegeben, dass eine Königin allein das

                  Land regiert.
Schreiber:  Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät, aber das gab es schon in der Geschichte Eng-

                  lands. Königin Margaret hat das Land vor 700 Jahren im Alleingang regiert.
Heinrich:   Margaret? Königin Margaret! Königin Maria?! Königin Elizabeth?
Georg:       Was sagten Eure Majestät?
Heinrich:   Nein, ich habe nur laut gedacht. Deine Rechte, Georg, sind durch die britische Krone

                  geschützt und es ist unwichtig, ob ein starker Mann auf dem Thron sitzt oder ein schwa-

                  ches Weib.

 
Der König unterzeichnet den Erlass über die Ernennung von Georg Huber zum Lordkanzler.

Heinrich:   Nun, jetzt muss dem Erlass nur noch das königliche Siegel hinzugefügt werden.
Schreiber:  Ich bringe es sofort.
(geht ab)
Georg:        In England ist es gefährlich, die Frau des Königs zu sein, aber auch Minister.

                   War Kardinal Wolsey etwa nicht ein großer Mann, der das Königreich so regierte, wie

                   es ihm beliebte? Aber was geschah mit ihm? Ist er denn nicht im Tower gestorben wie

                   ein Verbrecher? Und Sir Thomas Morus, Lordkanzler von England, hat er nicht etwa

                   das Imperium regiert? Was war sein Schicksal? Wurde er nicht hingerichtet? Und teilte

                   denn nicht Lordsiegelbewahrer Cromwell das spätere Schicksal aller seiner Vorgänger?

                   Und das heißt, dass auch ich eines schönen Tages einen Kopf kürzer bin.
Heinrich
(schaut voll Hass auf seinen neuen Lordkanzler):

                   Morgen lasse ich einen ganz anderen Erlass schreiben. Und Deine Befürchtungen um

                   das Schicksal meiner unglücklichen Minister werden sich voll bestätigen. Du hast heute

                   wirklich viel gesehen, und deshalb wirst Du das Amt nicht lange innehaben.
Georg:        Ich habe mir das so gedacht.
Heinrich:    Warum schweigst Du?
Georg:        Ich denke nach.
Heinrich:    Worüber?
Georg:        Durch meinen Beruf sehe ich oft menschliches Blut, aber ich fand keinen Unterschied

                   zwischen dem Blut Eurer erhabensten Majestät und dem Blut von einem beliebigen

                   Eurer Untergebenen.
Heinrich:    Und das ist das Wort meines Lordkanzlers!
Georg:        Dies sind seine Gedanken, laut geäußert.
Heinrich:    Und was befiehlst Du mir jetzt zu tun, Georg? Du bist doch mein Lordkanzler, und ich

                   brauche Deinen Rat..
Georg:        Aber womit kann ein armer Arzt seinem König dienen?
Heinrich:    Hier auf dem Tisch liegt mein letzter Wille. Befiehl ihn mir zu unterschreiben oder

                   nicht.
Georg
(kommt an den Tisch und liest laut vor):

                   "Die Krone vermache ich - ermächtigt durch Gesetz - meinem Sohn Prinz Eduard und

                   dessen Nachkommen. Stirbt der Prinz ohne Nachkommen, so geht sie an die Nachkom-

                   men Königin Katharinas, seine Tochter Maria und deren Nachkommen, unter der Be-

                   dingung, dass sie nicht ohne schriftliche Zustimmung der Mehrheit der dann noch

                   lebenden Mitglieder des Regentschaftsrats heiratet. Sonst fällt die Krone unter

                   derselben Bedingung an seine Tochter Elisabeth und deren Nachkommen oder an die

                   Töchter seiner Schwester und deren nächste Angehörige."

Heinrich:    Nun, was wäre Dein Rat?
Georg:        Sie wollen wieder alles auf die Schultern des armen Lordkanzlers abschieben, um

                   später nichts verantworten zu müssen.
Heinrich:    Hast Du etwa wirklich nichts verstanden? Denn für alles, was in England geschieht,

                   trage ich die persönliche Verantwortung vor Gott, und deshalb unterschreibe ich auch

                   jedes Urteil höchstpersönlich. Jawohl!
Georg
(übernimmt seine Amtsgeschäfte):

                   Die politischen Interessen Englands erfordern heutzutage ...
Heinrich
(unterbricht ihn):

                   Halt ein, mein Lordkanzler. Was bedeutet "heutige nationale Interessen"? Denn das

                   Testament ist immer eine Hinwendung zu künftigen Entwicklungen, und kein Heute

                   oder Gestern spielen da eine Rolle. Politik kommt und geht, aber das unterschriebene

                   Testament ist bereits Geschichte.
Georg:        Die Geschichte von was, Eure Majestät?
Heinrich:    Ich schwöre bei Gott, ich hatte noch nie einen solch dummen und kurzsichtigen

                   Lordkanzler. Die Geschichte von allem: die Geschichte des Menschen, der Familie, des

                   Geschlechts, des Staates und des ganzen Landes, vielleicht auch des ganzen Imperiums,

                   in dem sogar die Sonne nie am Horizont untergeht.
Georg:        Dann unterschreiben Sie den letzten Willen und das war's.
Heinrich
(unterzeichnet sein Testament und beginnt, über seinen Gesundheitszustand zu klagen):

                   Was bin ich müde. Bring mich zu Bett, mein letzter Lordkanzler.

Wiederum sind viele Axtschläge zu hören.

Heinrich:    Was ist das?
Georg:       Wahrscheinlich wird ein weiteres Schafott in England gebaut.
Heinrich:   Auch jetzt hast Du nicht recht, Georg. Es wird die mächtige britische Marine gebaut. Es

                  wird ein großes Imperium errichtet. Und wir beide machen dazu nur den ersten Schritt.
Georg:       Wir?
Heinrich:   Ja, wir alle. Allein steht es nicht in meinen Kräften.
Georg:       Und, hat es sich gelohnt?
Heinrich:   Die Geschichte wird über uns urteilen.
(Pause)
Georg:       Der Morgen erwacht über England, Eure Majestät.
Heinrich
(legt sich ins Bett):

                  Ich werde ein wenig schlafen und gehe dann wieder an die Arbeit.
Georg:       Ruhen Sie, Eure Majestät.
Heinrich:   Lässt Du mich auch nicht allein?
Georg:       Niemals. Ich habe es Euch doch geschworen.

Georg geht weg vom Bett des Königs und sieht, wie die Scheite im Kamin niederbrennen.

Heinrich
(im Wahn): Anne ... Anne. Jetzt werden wir nie mehr getrennt sein. Ich komme zu dir.

Mit heimlicher Angst kommt der Arzt wieder an das Bett und sieht, dass der König entschlafen ist. Die Hand des Monarchen hängt schlaff in der Luft. Georg verschränkt dessen Hände auf der Brust und schließt ihm die Augen.

Georg
(betet):

                  Möge Gott seiner sündigen Seele gnädig sein.

Der Schreiber betritt den Raum.

Schreiber: Hier ist der Erlass, Eure Majestät ...
Georg:      Leise! Der König schläft. Er soll nicht geweckt werden. Er hat Ruhe verdient.
Schreiber: Dann werde ich später kommen.

 

Der Schreiber übergibt Georg den Erlass und entfernt sich leise.

 
Georg:      Ruhe in Frieden, Heinrich VIII., König von England, Frankreich, Irland und Ehemann

                 von sechs Königinnen. Der Friede Gottes sei mit Dir.

Georg Huber wirft den Erlass zu seiner Ernennung zum Lordkanzler von England ins Feuer und schaut noch lange auf die brennende Rolle.

 

Vorhang fällt

 

 

Noch einige Tage nach seinem Tode hatte sich keiner am Hofe dazu entschlossen, den engli-schen Untertanen mitzuteilen, dass König Heinrich VIII. entschlafen war. Und erst am 31. Januar 1547, das heißt 4 Tage nach dem Tode, riefen die Herolde den Hochruf auf den neuen König Edward VI.

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